Europäischer Gerichtshof zur Missbräuchlichkeit rückwirkender Rabatte eines Marktbeherrschers | Fieldfisher
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Europäischer Gerichtshof zur Missbräuchlichkeit rückwirkender Rabatte eines Marktbeherrschers

Locations

Germany

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Fall "Post Danmark" Maßstäbe für die Beurteilung des Missbrauches eines marktbeherrschenden Unternehmens durch die Verwendung eines Rabattsystems vorgegeben.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Fall "Post Danmark" Maßstäbe für die Beurteilung des Missbrauches eines marktbeherrschenden Unternehmens durch die Verwendung eines Rabattsystems vorgegeben.

Rabattsystem für Direktwerbesendungen

Das Postdienstleistungsunternehmen Post Danmark hat 2003 ein Rabattsystem für Direktwerbesendungen eingeführt. Die Rabatte galten für Sendungen, die vom Kunden in einer Stückzahl von jeweils mindestens 3000 Briefen aufgegeben wurden, wobei jährlich eine Stückzahl von mindestens 30.000 Briefen oder ein Bruttoportobetrag von mindestens 300.000 dänischer Kronen (etwa 40.200 Euro) erreicht werden musste. In dem Rabattsystem waren die Rabattsätze nach einer Skala von 6 % bis 16 % gestaffelt, wobei letzterer Satz für die Kunden galt, die mehr als 2 Mio. Briefe im Jahr oder mehr als 20 Mio. dänische Kronen (etwa 2.680.426 Euro) aufgaben.

Vereinbarungen zwischen Post Danmark und Kunden

Jeweils zu Beginn eines Jahres trafen Post Danmark und dessen Kunden Vereinbarungen, in die die geschätzte Menge von Sendungen für das betreffende Jahr aufgenommen wurde. Die Rabatte wurden für das Jahr auf dieser Basis gewährt. Am Jahresende erfolgte dann eine Preisanpassung der Sendungen rückwirkend zum Beginn des Jahres durch Post Danmark. Der festgelegte Rabattsatz wurde also auf alle Sendungen rückwirkend angewandt und nicht nur auf die Sendungen, die die anfangs geschätzte Menge tatsächlich überschritten. Dahingegen verlangte Post Danmark eine Rückzahlung, sollte die vereinbarte Menge unterschritten werden.

Verfahren der dänischen Wettbewerbsbehörde

Nach einem Hinweis eines Wettbewerbers von Post Danmark stellte der dänische Wettbewerbsrat Mitte 2009 fest, dass Post Danmark seine beherrschende Stellung auf dem Markt für Verteilung von Massenbriefen missbraucht habe, weil das Unternehmen in den Jahren 2007 und 2008 treuefördernde und den Markt abschottende Rabatte für Direktwerbesendungen angewandt habe, ohne Effektivitätsgewinne nachweisen zu können, die den Verbrauchern hätten zugutekommen und die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen dieser Rabatte hätten aufwiegen können. Ein Jahr später besiegte der dänische Wettbewerbsbeschwerdeausschuss die Entscheidung des Wettbewerbsrats. Daraufhin wandte sich Post Danmark an das dänische See- und Handelsgericht.

Vorlage an den EuGH

Für das dänische See- und Handelsgericht bestanden Zweifel hinsichtlich der Frage, nach welchen Kriterien zu beurteilen sei, ob ein Rabattsystem konkret geeignet sei, eine Verdrängungswirkung nach Art. 102 AEUV zu entfalten. Das Gericht reichte diesbezüglich beim EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen ein.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH entschied, dass bei der kartellrechtlichen Beurteilung einer Rabattregelung sämtliche Umstände berücksichtigt werden müssten, insbesondere die Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung, sowie der Umfang der beherrschenden Stellung des Unternehmens und die besonderen Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt.

Der EuGH führt als Maßstäbe für den konkreten Fall aus, dass das Rabattsystem von Post Danmark insbesondere aus zwei Gründen einen besonders starken Druck auf die Abnehmer von Post Danmark ausübe. Erstens galten die Rabatte von Post Danmark rückwirkend für sämtliche Sendungen. Zweitens soll auch der Referenzzeitraum von einem Jahr nach den Ausführungen des EuGH einem starken Druck auf die Kunden dahingehend ausüben, die notwendige Absatzmenge bis zum Jahresende zu erreichen.

Darüber hinaus stellt der EuGH heraus, dass auch die Marktverhältnisse für eine wettbewerbswidrige Wirkung des Rabattsystems sprechen, da Post Danmark mit fast 95 % Marktanteil zum "unumgänglichen Marktpartner" würde. Dadurch würde das Rabattsystem eine wettbewerbswidrige Verdrängungswirkung entfalten. Eine solche muss nach Auffassung des EuGH nicht nachgewiesen werden, sondern es sei ausreichend, wenn sie "wahrscheinlich" sei.

Weiteres Verfahren

Der Fall geht nun zurück an das dänische See- und Handelsgericht. Dieses wird den konkreten Fall unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH entscheiden.

Hintergrund

Der EuGH hat bereits im Jahr 2012 im Fall "Tomra" zu Rabatten von marktbeherrschenden Unternehmen entschieden. Die Europäische Kommission hatte den norwegischen Automatenhersteller Tomra vorab wegen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung bei Leergutannahmeautomaten ein Bußgeld in Höhe von EUR 24 Mio. aufgelegt. Der EuG und in zweiter Instanz auch der EuGH haben die Entscheidung der Kommission bestätigt. Tomra hatte Kunden vertraglich exklusiv an sich gebunden, indem das Unternehmen rückwirkende Rabattregelungen einsetzte, die erst ab großen Mengen griffen, sodass die Kunden beinahe vollständig auf Tomra-Automaten festgelegt waren. Der EuGH stellt explizit fest, dass die Rabatte nicht dadurch gerechtfertigt werden könnten, dass nur ein Teil des Marktes dadurch gebunden würde. Auch die Kunden im Teil des abgeschotteten Marktes sollen von jedem Wettbewerb profitieren können.

Nach dem Urteil in Sachen "Tomra" veröffentliche die Europäische Kommission eine Mitteilung zu den Durchsetzungsprioritäten bei Art. 102 AEUV. Darin wird deutlich, dass Treuerabatte aber nicht per se verboten sind, sondern diese anhand verschiedener Kriterien im Einzelfall bewertet werden.

Im Jahr 2014 entschied dann das EuG ebenfalls zu Rabatten von marktbeherrschenden Unternehmen. Die Europäische Kommission hatte dem Mikroprozessorhersteller Intel zuvor ein Bußgeld von EUR 1,06 Mrd. wegen der Missbräuchlichkeit ihres Rabattsystems auferlegt. Intel hatte Computerherstellern Rabatte unter der Bedingung gewährt, dass sie nahezu alle von ihnen benötigten Prozessoren eines bestimmten Types bei Intel kauften. Der EuG bestätigte die Entscheidung der Kommission. Der EuG differenzierte in seiner Entscheidung zwischen drei verschiedenen Arten von Rabatten und deren Zulässigkeit:

  • Mengenrabatte  (Die Mengenschwellen des Rabattsystems sind auf alle Abnehmer gleichermaßen anwendbar.): Grundsätzlich unbedenklich.
  • Ausschließlichkeitsrabatte  (Der Kunde bezieht nahezu seinen gesamten Bedarf an einem Produkt bei dem marktbeherrschenden Unternehmen.): Missbräuchlich im Sinne des Art. 102 AEUV, da diese den Markt für weitere Wettbewerber verschließen.
  • Andere Treuerabatte  (Dem Kunden werden Anreize gesetzt, einen großen Bedarf beim marktbeherrschenden Unternehmen zu decken.): Sämtliche Kriterien und Modalitäten der Rabattgewährung sind zu prüfen, um eine marktabschottende Wirkung beurteilen zu können.

Links

Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 6. Oktober 2015

Urteil des Europäischen Gerichts vom 12. Juni 2014

Mitteilung der Kommission vom 5. Dezember 2008 – Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Art. 102 AEUV [ex Art. 92 EGV] auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen

 

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