Zustimmungsfiktion bei AGB-Änderungen – BGH-Urteil vom 27. April 2021 (Az. XI ZR 2620) | Fieldfisher
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Zustimmungsfiktion bei AGB-Änderungen – BGH-Urteil vom 27. April 2021 (Az. XI ZR 2620)

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Germany

Mit Urteil vom 27. April 2021 hat der BGH entschieden, dass Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ("AGB"), die eine Zustimmung des Kunden zu AGB-Änderungen fingieren, falls er nicht innerhalb einer bestimmten Frist dagegen widerspricht, unwirksam sein können.

Dies gilt insbesondere, wenn die Änderungen nicht nur einzelne Details der vertraglichen Beziehung betreffen, sondern die Grundlagen der rechtlichen Beziehungen der Parteien und zu einer Verschiebung des Äquivalenzverhältnisses von Leistung und Gegenleistung zugunsten des Verwenders führen können.

Für die Praxis bedeutet dies, dass AGB mit entsprechenden Zustimmungsfiktionen angepasst werden müssen. Eine Zustimmungsfiktion ist künftig nur noch in engen Grenzen möglich. Insbesondere für wesentliche Änderungen der AGB muss die ausdrückliche Zustimmung des Kunden eingeholt werden.

Bisherige AGB-Änderungen müssen auf das Risiko hin untersucht werden, dass der Kunde auf die Erfüllung des Vertrags nach den ursprünglich vereinbarten Bedingungen besteht. Dies gilt vor allem für Gebührenerhöhungen, hinsichtlich derer Verbraucher Rückforderungen geltend machen könnten. Dies wäre jedoch nur in der Zeit ab 1. Januar 2018 möglich, da Rückforderungsansprüche für einen früheren Zeitraum verjährt sind.

Bisherige Praxis

In den AGB vieler Banken und Finanzdienstleister war es bislang üblich, die Zustimmung von Kunden zu Änderungen der AGB zu fingieren. Dabei orientierten sich viele Banken und Finanzdienstleister an den Formulierungen in Nr. 1 Abs. 2 AGB-Banken und Nr. 2 Abs. 1 bis 3 AGB-Sparkassen bzw. den Nr. 12 Abs. 5 AGB-Banken und Nr. 17 Abs. 6 AGB-Sparkassen. Danach werden beabsichtigte AGB-Änderungen spätestens zwei Monate vor dem Inkrafttreten der Änderungen dem Kunden in Textform angeboten. Die Zustimmung des Kunden gilt als erteilt, wenn der Kunde den Änderungen nicht bis zum Wirksamwerden der Änderungen widerspricht und sofern die Bank den Kunden mit der Mitteilung über die beabsichtigten Änderungen auf diese Genehmigungswirkung hinweist. Ist der Kunde mit den vorgeschlagenen Änderungen nicht einverstanden, kann er die vertragliche Beziehung durch Kündigung gegenüber der Bank beenden. Diese Praxis der AGB-Banken und der AGB-Sparkassen orientierte sich an § 675g BGB, der für Zahlungsdiensterahmenverträge ausdrücklich die Möglichkeit einer Änderung des Zahlungsdiensterahmenvertrags durch eine Zustimmungsfiktion des Kunden als Zahlungsdienstenutzer vorsieht.

Die Praxis der Zustimmungsfiktion entspricht dem Bedürfnis nach der Verwendung einheitlicher Vertragsbeziehungen für eine Vielzahl von Kunden im sogenannten "Massengeschäft" bei gleichzeitiger Notwendigkeit, die AGB in regelmäßigen Abständen zu ändern. Ein solches Änderungserfordernis kann sich z.B. aufgrund von Änderungen der gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben oder des angebotenen Geschäftsmodells, bis hin zur Anpassung des Preis- und Leistungsverzeichnisses, ergeben.

Was hat der BGH entschieden?

Im Klageverfahren des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände gegen die Postbank hat der für das Bankrecht zuständige Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden, dass Klauseln in AGB einer Bank im Verkehr mit Verbrauchern unwirksam sind, die ohne inhaltliche Einschränkung die Zustimmung des Kunden zu Änderungen der AGB und Sonderbedingungen der Bank fingieren. 

Vollumfängliche AGB-Kontrolle

Der BGH begründet die Entscheidung damit, dass solche Klauseln vollumfänglich der AGB-Kontrolle (§§ 307 ff. BGB) unterliegen, und zwar auch, soweit sie Zahlungsdiensterahmenverträge erfassen. Dies ist insofern beachtlich, als § 675g BGB, wie bereits erwähnt, die Änderung von Zahlungsdiensterahmenverträgen qua Zustimmungsfiktion des Kunden vorsieht. Doch nach Auffassung des BGH sperrt § 675g BGB die Anwendung der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle §§ 307 ff. BGB nicht: Soweit die Klauseln so auszulegen sind, dass nicht nur Zahlungsdiensterahmenverträge, sondern alle im Rahmen der Geschäftsbeziehung zwischen Bank und Kunden geschlossenen Verträge von der Zustimmungsfiktion erfassen, sind die Klauseln insgesamt unwirksam. 

Keine Umgestaltung des gesamten Vertragsgefüges

Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Klauseln "nicht nur Anpassungen von einzelnen Details der vertraglichen Beziehungen" betreffen, sondern "ohne inhaltliche oder gegenständliche Beschränkung jede vertragliche Änderungsvereinbarung". Denn damit weichen die Klauseln nach Auffassung des BGH von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen ab und stellen eine unangemessene Benachteiligung dar. Grund hierfür ist, dass den Banken die Möglichkeit eingeräumt wird, mittels Zustimmungsfunktion "das Vertragsgefüge insgesamt umzugestalten". Jedenfalls für "jedwede weitreichenden, die Grundlagen der rechtlichen Beziehungen der Parteien betreffenden Änderungen, die dem Abschluss eines neuen Vertrags gleichkommen können", ist nach Auffassung des BGH ein Änderungsvertrag erforderlich, der die ausdrückliche Zustimmung des Kunden voraussetzt. 

Keine erhebliche Verschiebung des Äquivalenzinteresses

Dasselbe gilt für Änderungen von Entgelten für Hauptleistungen, ohne dass dafür Einschränkungen vorgesehen sind. Denn damit wird den Banken nach Auffassung des BGH die Möglichkeit eingeräumt, "das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung erheblich zu ihren Gunsten zu verschieben und damit die Position des Vertragspartners zu entwerten".

Betrifft das Urteil nur Banken?

Das BGB-Urteil ist neben etablierten Banken und Sparkassen, für Finanz- und Zahlungsdienstleister, aber auch für viele unregulierte Dienstleister wie etwa IT-Plattformen und Cloud-Provider von Bedeutung. Denn bei allen Geschäftsmodellen im Massengeschäft besteht das grundsätzliche Bedürfnis, eine praktikable Handhabe für Änderungen der vertraglichen Bedingungen zu schaffen, die bisher oftmals über eine Zustimmungsfiktion gesucht wurde. 

Welche Risiken bestehen bei der weiteren Verwendung von inhaltlich nicht eingeschränkten Zustimmungsfiktionen?

Sofern weiterhin Änderungen von AGB mittels der bisher verwendeten, inhaltlich nicht eingeschränkten Zustimmungsfiktionen vorgenommen werden, besteht das Risiko, dass Kunden z.B. die Zahlung von erhöhten Entgelten verweigern und auf die Erfüllung des Vertrags nach den bisherigen Bedingungen bestehen. Darüber hinaus können ggf. auch Gebühren zurückgefordert werden, die in der Vergangenheit nicht wirksam erhöht worden sind. Rückforderungen kommen für alle Gebührenerhöhungen ab dem 1. Januar 2018 in Betracht. Für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2018 sind derartige Forderungen bereits verjährt. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass die Verwendung unwirksamer Zustimmungsfiktionen in gegenüber Verbrauchern verwendeten AGB abgemahnt werden, z.B. durch Mitbewerber oder Verbrauchschutzorganisationen.

Welche Handlungsoptionen gibt es für künftige AGB-Anpassungen?

Grundsätzlich sollten AGB daraufhin überprüft werden, ob Zustimmungsfiktionen verwendet werden, die den vom BGH für unwirksam erklärten Klauseln entsprechen. Zur Vermeidung von unwirksamen AGB-Änderungen und Abmahnrisiken sollten solche Klauseln angepasst werden. Dabei sollte im Einzelfall abgewogen werden, ob künftig sämtliche AGB-Änderungen von der ausdrücklichen Zustimmung des Kunden abhängig gemacht werden - was etwa im Online-Geschäft durch entsprechende Aufforderungen zur Abgabe von Zustimmungserklärungen denkbar wäre - oder ob eine differenzierte Form gewählt wird, die durch eine "einschränkend-konkretisierende Formulierung" lediglich wesentliche Änderungen - d.h. Änderungen, die zur Umgestaltung des gesamten Vertragsgefüges oder einer erheblichen Verschiebung des Äquivalenzverhältnisses führen - von einer ausdrücklichen Zustimmung abhängig macht. Eine differenzierte Lösung birgt aber immer auch die Gefahr, dass für den Kunden letztlich nicht mehr ohne weiteres nachvollziehbar ist, welche Änderungen mittels einer Zustimmungsfiktion erfolgen können und in welchen Fällen eine ausdrückliche Zustimmung eingeholt werden muss. Auch in diesem Fall könnte die Klausel - wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot - unwirksam sein. Sofern Zahlungsdienste angeboten werden, sollte jedenfalls für Zahlungsdiensterahmenverträge eine gesonderte Regelung in Anlehnung an § 675g BGB vorgesehen werden.

Kontakt

Für Fragen zum Urteil und seinen Auswirkungen, stehen Dr. Andreas Driver, Dr. Katja Michel und Anke Saßmannshausen gerne zur Verfügung.

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