Die Zukunft der Massenklagen Teil 1 – Entwurf des Umsetzungsgesetzes zur Verbandsklagenrichtlinie geleakt | Fieldfisher
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Insight

Die Zukunft der Massenklagen Teil 1 – Entwurf des Umsetzungsgesetzes zur Verbandsklagenrichtlinie geleakt

Martin Lose
03.11.2022

Locations

Germany

Die EU-Richtlinie 2020/1828 "Verbandsklagenrichtlinie" verpflichtet die Mitgliedstaaten, einen Mechanismus in ihr nationales Prozessrecht aufzunehmen, der kollektive Verbraucherrechtsklagen ermöglicht. Jetzt ist ein erster Referentenentwurf des deutschen Umsetzungsgesetzes bekannt geworden. Er zeigt, in welche Richtung die Bundesregierung gehen will. Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Aspekte des Entwurfs zusammen und analysieren die möglichen Auswirkungen auf den Markt für Massenverfahren.

 
Neue Möglichkeiten für Verbandsklagen
Kernstück des Entwurfs ist ein neues Gesetz zur Durchsetzung von Verbraucherrechten (Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz - "VDuG"). Danach können Verbraucherorganisationen mit mindestens 350 Mitgliedern oder zehn Mitgliedsverbänden Klagen anhängig machen, denen sich Verbraucher und kleinere Unternehmen anschließen können. Anders als die Verbandsklagerichtlinie ist der Entwurf des VDuG nicht auf Verstöße gegen EU-Recht beschränkt, sondern erlaubt Verbandsklagen zur Durchsetzung von privatrechtlichen Ansprüchen jeder Art.

Neben den schon bisher möglichen Musterfeststellungsklagen sieht der Entwurf des VDuG einen neuen Verfahrenstypus vor: Die Abhilfeklage. Der große Unterschied zur Musterfeststellungsklage besteht darin, dass die Abhilfeklage Verbrauchern und kleinen Unternehmen ermöglicht, Schadensersatzzahlungen durchzusetzen, ohne nach einem feststellenden Urteil noch einmal selbst klagen zu müssen.

 
Anforderungen an Abhilfeklagen
Bei der Einreichung einer Abhilfeklage muss die jeweilige Verbraucherorganisation in ihrer Klageschrift nachweisen, dass mindestens Ansprüche von 50 Verbrauchern oder kleinen Unternehmen von der Klage betroffen sind. Es gibt jedoch keine entsprechende Anforderung, dass sich auch mehr als 50 Parteien der Verbandsklage anschließen müssen.

Zweitens muss die jeweilige Verbraucherorganisation nachweisen, dass die Forderungen der betroffenen Kunden respektive kleinen Unternehmen "gleichartig" sind. Diese Anforderung ist erfüllt, wenn die Ansprüche auf demselben Sachverhalt oder auf einer Reihe vergleichbarer Sachverhalte beruhen und für sie die gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sind. Schließlich muss in der Klageschrift der von jedem Verbraucher oder kleinen Unternehmen geforderte Betrag angegeben werden, wenn alle Einzelforderungen gleich hoch sind. Ergeben sich hingegen Ansprüche in unterschiedlicher Höhe, muss die Klageschrift eine entsprechende Methode zur Berechnung der Anspruchshöhe enthalten.

 
Ablauf des Gerichtsverfahrens
Verbandsklagen nach dem VDuG-Entwurf fallen in die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte. Gegen Urteile in Verbandsklagen kann Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt werden.

Generell sieht der VDuG-Entwurf ein vierstufiges Verfahren für Abhilfeklagen vor:

Schritt 1
Das Gericht prüft zunächst seine Zuständigkeit und die Begründetheit der Klage – jedoch nicht den zu zahlenden Endbetrag. Anschließend erlässt es ein Abhilfegrundurteil, in der der Klage stattgegeben oder sie abgewiesen wird. Wenn das Gericht der Klage stattgibt, legt es Folgendes fest:
  • Die konkreten Voraussetzungen, nach denen sich die Anspruchsberechtigung der betroffenen Verbraucher bestimmt und
  • die von jedem einzelnen Verbraucher bzw. kleinen Unternehmen zu erbringenden Berechtigungsnachweise.
 
Schritt 2
Das Gericht fordert die Parteien auf, einen Vergleich zu schließen. Ein solcher Vergleich ist für die Verbraucher bzw. kleineren Unternehmen, die ihre Ansprüche angemeldet haben, verbindlich, sofern sie nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Vergleichs widersprechen.

Schritt 3
Kann wiederum keine Einigung erzielt werden, erlässt das Gericht ein Abhilfeendurteil, in dem der Gesamtbetrag sämtlicher in der Abhilfeklage verfolgter Ansprüche festgelegt wird und an einen vom Gericht bestellten Sachwalter zu zahlen ist. Das Gericht hat bei der Bestimmung des Gesamtbetrages ein erhebliches Ermessen und darf den Gesamtbetrag schätzen. Das ist ein erheblicher Vorteil für die Klägerseite, da Einwendungen, welche die Höhe der Ansprüche betreffen, kaum vorgebracht werden können.

Schritt 4
Im Umsetzungsverfahren errichtet der vom Gericht bestellte Sachwalter aus dem kollektiven Gesamtbetrag einen Umsetzungsfonds. Er prüft dann, ob Verbraucher und kleine Unternehmen nach den im Abhilfegrundurteil festgelegten Kriterien Anspruch auf Entschädigung haben – und leistet entsprechende Zahlungen.

Ein entscheidender Vorteil für die Kläger ist, dass Einwendungen der beklagten Unternehmen erst im Nachgang in einer gesonderten Klage vorgebracht werden können. Zahlungspflichtige Unternehmen müssen also in Vorleistung gehen und sich einen etwaigen Erstattungsanspruch gegen den Verbraucher erstreiten.

 
Finanzierung durch Dritte
Verbandsklagen nach dem VDuG-Entwurf können auch von Dritten finanziert werden. Der Entwurf des VDuG zielt jedoch darauf ab, Konflikte zwischen den Interessen des finanzierenden Dritten und den Kollektivinteressen der klagenden Verbraucher zu vermeiden. Aus diesem Grund dürfen Drittmittelgeber unter bestimmten Umständen nicht von einem Dritten finanziert werden (Wettbewerber des verklagten Unternehmens, wirtschaftlich abhängige Unternehmen, Gefahr der Beeinflussung der Prozessführung zu Lasten der Verbraucher). Eine Drittfinanzierung der Klage muss zudem in der Klageschrift offengelegt werden.

 
Einordnung des Gesetzesentwurfs
Die im VDuG-Entwurf vorgesehene Abhilfeklage hat das Potential, ein effektives Rechtsdurchsetzungsinstrument für Verbraucherforderungen zu werden. Das Prozessrisiko wird im Entwurf stark auf die beklagten Unternehmen verlagert. Einwendungen gegen individuelle Ansprüche sind erst nach Abschluss des Abhilfeverfahrens in einem gesonderten Verfahren möglich.

An zwei wesentlichen Stellen enthält der Entwurf allerdings Unschärfen, die – sollte der Entwurf Gesetz werden – zu Rechtsunsicherheiten führen dürften:
  • Es ist nicht klar, welche Ansprüche als ausreichend "gleichartig" anzusehen sind, damit sie in einer Abhilfeklage gebündelt werden können. Bereits kleinere Variationen bei der rechtlichen Bewertung oder dem zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt könnten zur Unzulässigkeit der Verbindung innerhalb einer Abhilfeklage führen. Bei Ansprüchen im Zusammenhang mit dem "Diesel-Skandal" würde sich zum Beispiel die Frage stellen, ob Autos unterschiedlicher Modellreihen oder Motorisierung in einer Klage zusammengefasst werden können. Ähnliche Abgrenzungsfragen können sich auch aus einem unterschiedlichen Kaufdatum oder der Verbrauchereigenschaft eines Klägers ergeben.

  • Ähnliche Fragen stellen sich auch im Zusammenhang mit den Inkompatibilitätsregelungen bei der Drittfinanzierung: Die Bestimmung möglicher Wettbewerber, die von einer Finanzierung der Abhilfeklage ausgeschlossen werden sollen, sollte keine besondere Schwierigkeit darstellen. Nach welchen Kriterien sich beurteilen lässt, ob eine Beeinflussung der Prozessführung zu Lasten der Verbraucher durch einen Prozessführer zu befürchten ist, wird im Einzelfall jedoch ungleich schwerer zu beurteilen sein.

Anders als bei den aktuellen Sammelklagen von Inkassodienstleistern, gefährden diese Rechtsunsicherheiten jedoch nicht die Durchsetzung der Forderungen. Denn während bei den aktuellen "Abtretungsmodellen" das Risiko besteht, dass Rechtsverstöße des Geschäftsmodells der Inkassodienstleister die Rechtsdurchsetzung insgesamt scheitern lassen, würden die Verjährung der Ansprüche im Falle der Abhilfeklage auch bei einer unzulässigen Verbindung gehemmt.

 

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