Patentrechtliche Compliance – FTO-Analyse als Baustein zum Ausweg aus dem Unterlassungsanspruch? | Fieldfisher
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Patentrechtliche Compliance – FTO-Analyse als Baustein zum Ausweg aus dem Unterlassungsanspruch?

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Das zweite Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts ist vor kurzem in Kraft getreten. Ein wesentlicher Aspekt des Gesetzes ist die Kodifizierung der bereits richterrechtlich herausgebildeten Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs. Nach der Gesetzesbegründung kann ein vor der Vermarktung eines Produktes eingeholtes Verletzungsgutachten (sog. Freedom-to-Operate-Analyse oder FTO-Analyse), neben anderen Gesichtspunkten, Einfluss darauf haben, ob eine Verurteilung zur Unterlassung erfolgt oder ob eine solche unverhältnismäßig ist. Im Sinne einer Haftungsminimierung ist daher zu raten, vor der Vermarktung eines Produktes eine solche FTO-Analyse durchzuführen.

Bislang galt im Wesentlichen, dass der Unterlassungsanspruch verschuldensunabhängig gewährt wird. Liegen also eine Patentverletzung und eine Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr vor, wird nach der bestehenden Rechtslage ein Unterlassungsanspruch gewährt, sofern dieser auch beantragt wurde. Die spätere Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs führt dann zu einem Produktions- und/oder Vertriebsstopp der verletzenden Ausführungsform. 

Der bestehende § 139 Abs. 1 PatG, der den Unterlassungsanspruch regelt, wurde durch das neue Gesetz um folgende Sätze ergänzt:

"Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde. In diesem Fall ist dem Verletzten ein angemessener Ausgleich in Geld zu gewähren. Der Schadensersatzanspruch nach Absatz 2 bleibt hiervon unberührt.“

Die jüngste Kodifizierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und die Gesetzesbegründung legen nahe, dass es nunmehr häufiger zu einer Abkehr von einem sog. automatischen Unterlassungsanspruch kommen könnte. Bislang hat lediglich der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Wärmetauscher" Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruches gemacht. Insofern ist das Ziel des Gesetzgebers die ausdrückliche Klarstellung, dass der patentrechtliche Unterlassungsanspruch im Einzelfall ausnahmsweise beschränkt werden kann. Insbesondere durch den ausdrücklichen Verweis auf die Gebote von Treu und Glauben werde klargestellt, dass bei der Beurteilung der Frage, ob eine den Unterlassungsanspruch ausschließende, ungerechtfertigte Härte vorliegt, eine Gesamtabwägung zu erfolgen hat, die auch die berechtigten Interessen des Patentinhabers mit einbezieht (BT-Drucks. 19/30498).

Der Gesetzgeber selbst gibt mehrere Beispiele, bei denen eine Verwehrung des Unterlassungsanspruchs wegen Unverhältnismäßigkeit in Betracht kommt. Unter den Beispielen finden sich die ausschließlichen Monetarisierungsinteressen von nicht-praktizierenden Unternehmen durch eine Lizenzierung des Schutzrechts, erhebliche wirtschaftliche Schäden durch das Unterlassungsgebot, eine Relevanz des verletzten Patents lediglich für ein untergeordnetes, nicht funktionswesentliches Element eines komplexes Gesamtprodukts, und auch Drittinteressen können berücksichtigt werden. Schließlich können auch subjektive Elemente bei der Bewertung der Verhältnismäßigkeit eines Unterlassungsanspruchs eine Rolle spielen.

Gerade solche subjektiven Gesichtspunkte können bei der patentrechtlichen Compliance eine erhebliche Rolle spielen. Es lohnt sich daher ein genauerer Blick auf diese Elemente.

Nach dem gesetzgeberischen Willen kommen bei den subjektiven Elementen auf Seiten des Patentverletzers insbesondere die Art und der Umfang des Verschuldens Bedeutung zu, mithin der Frage, ob der Verletzer mögliche und zumutbare Vorkehrungen zur Vermeidung einer Patentverletzung z.B. durch eine angemessene FTO-Analyse getroffen hat (BT-Drucks. 19/25821). 

Eine überzeugende FTO-Analyse kann in der Gesamtbetrachtung des Falles für das Gericht den Ausschlag geben, den Unterlassungsanspruch zu verneinen oder einzuschränken und somit auch einen erzwungenen Stopp der Produktion und/oder des Vertriebs der patentverletzenden Gegenstände zu verhindern bzw. deren Folgen durch Gestattung einer Aufbrauchs- oder Anpassungsfrist hinauszuzögern. Daher stellt sich die Frage, welche Anforderungen an eine solche FTO-Analyse zu stellen sind, damit sie möglicherweise in einem späteren Patentverletzungsprozess bei der Frage der Unverhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs herangezogen werden kann. 

Die Rechtsprechung zum Verschulden beim Schadensersatzanspruch kann hierbei wertvolle Hinweise auf den notwendigen Umfang und den hinreichenden Detaillierungsgrad einer FTO-Analyse geben.

Von der Rechtsprechung wurden im Rahmen des Fahrlässigkeitsvorwurfs für unterschiedliche Marktteilnehmer vergleichsweise hohe Sorgfaltsanforderungen entwickelt. Dies hat zur Folge, dass eine Exkulpation vom Vorwurf des Verschuldens bislang nur selten gelungen ist.

Nach dieser ständigen Rechtsprechung ist grundsätzlich von Gewerbetreibenden zu verlangen, dass sie sich über fremde Schutzrechte, die ihren Gewerbebetrieb betreffen können, informieren. Hierbei hat die Rechtsprechung ein abgestuftes System entwickelt, welche Sorgfaltspflichten von den einzelnen Akteuren auf einem Markt erfüllt werden müssen. 

Die schärfsten Sorgfaltspflichten treffen hierbei produzierende Unternehmen und Importeure. Bei einem herstellenden Unternehmen ist nach der Rechtsprechung zu erwarten, dass dieses die Patente und Patentanmeldungen auf ihrem eigenen Gebiet kennt. Ein Unternehmen ist daher angehalten, frühzeitig zu prüfen, ob seine Verfahren oder seine Produkte ein fremdes Recht verletzen. Und ein inländischer Importeur von im Ausland hergestellten Waren darf sich nicht auf die Angaben des ausländischen Herstellers verlassen, sondern muss die Schutzrechtslage selbst prüfen.

Abgemildert sind die Prüfungspflichten für vertreibende Unternehmen. Grundsätzlich wird aber auch hier erwartet, dass sich der Händler über die Schutzrechtslage, die sein Unternehmen betrifft, informiert und, wenn eine Verletzung nicht ausgeschlossen werden kann, der Schutzumfang fremder Rechte überprüft wird. Die Pflicht des Händlers innerhalb einer Lieferkette kann sich darauf reduzieren, dass er sich vergewissert, dass bereits eine ernsthafte, sorgfältige und sachkundige Prüfung stattgefunden hat. Spätestens nach dem Zugang einer Mitteilung über eine Verletzung wird jedoch erwartet, dass sich ein Händler mit der Schutzrechtslage und dem Verletzungsvorwurf auseinandersetzt. Bei Mehrsortimentlern wie z.B. großen Warenhäusern besteht jedoch ohne besonderen Anlass keine Pflicht, die Schutzrechtslage zu überprüfen, wenn sie die Ware von einem inländischen Hersteller bezogen haben. 
 

Fahrlässigkeit nur selten abgelehnt 

In nur wenigen gerichtlichen Entscheidungen wurde bislang entschieden, dass Unternehmen trotz einer Patentverletzung nicht fahrlässig gehandelt haben. 

Von der Rechtsprechung wurde beispielsweise die Fahrlässigkeit eines produzierenden Unternehmens angenommen, obwohl es ein Gutachten zur Schutzrechtslage bei einem Patentanwalt in Auftrag gegeben hatte, dieses jedoch auf die Schutzrechte von zwei Unternehmen beschränkt war. Das Gericht versagte der Beklagten die Exkulpationsmöglichkeit, weil sie nur einen Bruchteil der möglichen Schutzrechte auf dem maßgeblichen Gebiet hatte prüfen lassen (LG Mannheim, GRUR 53, 33). In einer anderen Entscheidung ließ sich der Bundesgerichtshof von dem Gedanken leiten, dass der Verletzer sich durch den bloßen Hinweis auf die Beauftragung eines Patentanwalts zur Überprüfung der Schutzrechtslage nicht vom Vorwurf der Fahrlässigkeit befreien kann. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, zum Umfang der patentanwaltlichen Prüfung und dem daraus resultierenden Rechtsrat, der erteilt worden ist, vorzutragen (BGH, GRUR 1993, 460 - Wandabstreifer).

In einer anderen gerichtlichen Entscheidung konnte sich ein Händler (im konkreten Fall ging es um den Vertrieb von Mobiltelefonen) aufgrund der Umstände des Einzelfalls vom Vorwurf der Fahrlässigkeit exkulpieren, weil er unter anderem seine komplexen Produkte von weltweit tätigen und namhaften Herstellern bezogen hat und insofern davon ausgehen konnte, dass diese Hersteller die Schutzrechtslage eigenständig geprüft und selbst nur von patentrechtlich Berechtigten die unterschiedlichen Komponenten geordert hatten (OLG Düsseldorf,  Urt. v. 16. Februar 2006, I-2 U 32/04). 
 

Schlussfolgerungen für FTO-Analysen:

  • Umfang und Detaillierungsgrad der FTO-Analyse und der vorgeschalteten Recherche hängen von dem Unternehmenszweck ab. Von einem Händler kann nicht erwartet werden, dass er zu jedem Produktdetail eine aufwendige Recherche durchführen lassen muss. An ein herstellendes Unternehmen sind jedoch höhere Anforderungen zu stellen. Je nach Unternehmenszweck und Branche kann eine einfache Namensrecherche, die dann aber alle Wettbewerber umfassen sollte, ausreichen. 
  • Händler sollten relevante Produkt- und Schutzrechtsinformationen beim Hersteller einholen. 
  • Die FTO-Analyse sollte von erfahrenen und auf das Patentrecht spezialisierten Rechtsanwälten, bei komplexen technischen Sachverhalten ggf. gemeinsam mit erfahrenen Patentanwälten durchgeführt werden.  
  • Eine Analyse, ob ein Produkt wortsinngemäß von einer patententierten Erfindung Gebrauch macht, sollte grundsätzlich ausreichend sein. Hierbei wird es wohl nicht erforderlich sein, vollständige sog. claim charts zu erstellen, sondern es dürfte ausreichen, zu dem Merkmal des Patentanspruchs Stellung zu nehmen, welches offensichtlich nicht verletzt ist. Nicht erforderlich sollte die nähere Analyse einer äquivalenten Patentverletzung sein (es sei denn, dass sich eine solche aufdrängt).  
  • Der Rechercheumfang und die Analysetiefe, d.h. der erforderliche, aber auch hinreichende Aufwand muss zudem im Verhältnis zum Risiko einer Inanspruchnahme beurteilt werden.
  • In besonders kritischen oder bedeutenden Fällen kann die Einholung eines Zweitgutachtens angezeigt sein.
     

Es bleibt jedoch abzuwarten, welche konkreten Anforderungen die zukünftige Rechtsprechung an FTO-Analysen stellen wird.
 

Handlungsempfehlung

Bevor ein Unternehmen die Produktion oder den Vertrieb eines Produktes aufnimmt, sollte es sich im erforderlichen Umfang mit der bestehenden Schutzrechtslage auseinandersetzen. Denn mit einer überzeugenden FTO-Analyse - als einem von mehreren Bausteinen - besteht die Möglichkeit, in einem späteren Patentverletzungsprozess die volle Härte eines uneingeschränkten Unterlassungsanspruchs und damit erhebliche finanzielle Einbußen zu vermeiden. Es ist auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung zum Verschulden beim Schadensersatz davon auszugehen, dass nur eine gründliche und umfassende FTO-Analyse die Basis für eine erfolgreiche Verteidigung gegen den Unterlassungsanspruch bilden kann.

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