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Insight

EU-Kommission: Mitteilung von Beschwerdepunkten bei Online-Werbung an Google

Anita Malec
03.11.2023

Locations

Germany

Nach den EuG-Entscheidungen zu Google Shopping (EuG, Urteil vom 10.11.2021 – T-612/17) und im Zusammenhang mit Android-Mobiltelefonen (EuG, Urteil vom 14.09.2022 – T-604/18) gibt es auf EU-Ebene erneut Bewegung wegen des Verdachts von Marktmachtmissbrauch im Sinne des Art. 102 AEUV durch Google.

Bereits am 22.Juni 2021 leitete die EU-Kommission eine Untersuchung zu Googles mutmaßlich wettbewerbswidrigem Verhalten bei Online-Werbetechnik (sog. Ad Tech) ein. Mit der am 14.Juni 2023 erfolgten Übermittlung der Mitteilung der Beschwerdepunkte an Google geht das Verfahren nun den nächsten Schritt.

Die EU-Kommission hat Google von ihrer vorläufigen Auffassung in Kenntnis gesetzt, dass das Unternehmen gegen die EU-Kartellvorschriften verstößt, indem es den Wettbewerb im Bereich Adtech verzerrt. Die Kommission hatte festgestellt, dass Google seine eigenen Technologiedienste für Online-Display-Werbung zulasten konkurrierender Anbieter solcher Dienste sowie von Werbetreibenden und Online-Verlegern begünstigt.

Nach vorläufiger Auffassung der Kommission sei in diesem besonderen Fall eine verhaltensbezogene Abhilfemaßnahme wahrscheinlich nicht geeignet, der Gefahr vorzubeugen, dass Google solche sich selbst begünstigenden Verhaltensweisen fortsetzt. Die wettbewerbsrechtlichen Bedenken seien nur durch die obligatorische Veräußerung eines Teils der Dienste von Google auszuräumen.

Zum Sachverhalt

Die gegenständliche Untersuchung richtet sich gegen Googles Beteiligung am Online-Werbegeschäft, das den größten Teil seiner Einnahmen generiert. Hier ist Google auf mehreren Seiten des Marktes tätig: Einerseits werden Werbeflächen verkauft, andererseits wird zwischen Werbetreibenden vermittelt. Es werden Instrumente auf drei Ebenen von Google bereitgestellt:

  1. Instrumente zum Kauf von Werbung, namentlich "Google Ads" und "DV 360";
  2. "DoubleClick for Publishers" (DFP) als Ad-Server, auf dem Verlage Werbeflächen auf ihren Internetseiten oder Apps verwalten können;
  3. "AdX" als Werbebörse oder Ad exchange, die als Schnittstelle zwischen Werbetreibenden und Verlagen dient und eine Art Handelsplattform für Auktionen von Displaywerbung darstellt.

Zunächst stellt die Kommission fest, dass eine marktbeherrschende Stellung von Google auf dem Ad-Server-Markt und dem Markt für den Kauf von Online-Werbung besteht.

Als vorläufiges Ergebnis wird sodann festgehalten, dass diese Stellung mutmaßlich seit 2014 missbraucht wurde, da die Google-eigene Ad exchange AdX auf beiden Marktseiten bevorzugt angeboten worden sein soll:

  • Auf Käuferseite über Google Ads und DV 360, die andere, konkurrierende Werbebörsen mieden und stattdessen überwiegend AdX nutzten.
  • Auf Verkäuferseite über DFP, das den Verlagen eine Vorab-Info über das beste Gebot von Wettbewerbern gab, damit bei der Auktion der Zuschlag erhalten werden konnte, so dass letztlich konkurrierende Ad exchanges weniger attraktiv wurden.

Durch diese simultane Bevorzugung sei davon auszugehen, dass ein unzulässiger Wettbewerbsvorteil entstanden sei und somit Googles starke Position auf dem Adtech-Markt weiter untermauert wurde, was zudem die Forderung höherer Nutzungsgebühren erleichterte.

Die Kommission geht – wie sie betont – vorläufig davon aus, dass verhaltensbedingte Maßnahmen als Abhilfe nicht genügen würden, da durch die Tätigkeit auf diversen Marktseiten Interessenkonflikte unvermeidlich seien. Es wird sogar angedroht, dass die Veräußerung eines Geschäftsteils von Google angeordnet werden könnte, sollten sich die Beschwerdepunkte bestätigen.

Ablauf des Verfahrens und Befugnisse der Kommission

Nach einer Verfahrenseinleitung durch Beschluss, wie hier am 22.Juni 2021, steht am Ende der Untersuchung eine Kommissionsentscheidung. Zuvor ist dem betreffenden Unternehmen rechtliches Gehör zu gewähren und eine Mitteilung der Beschwerdepunkte (oder englisch "statement of objections", kurz SO) zu übermitteln. Sofern am Ende der Untersuchung marktmachtmissbräuchliches Verhalten festgestellt wird, erfolgt grundsätzlich die Anordnung der Abstellung von Zuwiderhandlungen nach Art. 7 der Kartellverfahrensverordnung (VO 1/2003) oder ggf. eine Verpflichtungszusage des Unternehmens nach Art. 9 VO 1/2003.

Bei den nach Abschluss der Untersuchung anzuordnenden Abhilfemaßnahmen, die der Kommission nach Art. 7 VO 1/2003 zur Verfügung stehen und die Google angedroht werden, kommen sowohl verhaltensorientierte als auch strukturelle Maßnahmen in Betracht. Diese sind sogar möglich, wenn die missbräuchliche Handlung bereits abgestellt wurde, aber noch fortwirkende Effekte hat.

Beide Arten von Abhilfemaßnahmen müssen verhältnismäßig sein: Unter mehreren gleich geeigneten Mitteln ist dasjenige zu wählen, das für den Adressaten am wenigsten belastend und im Einzelfall angemessen ist. Strukturelle Maßnahmen sind subsidiär, dürfen also nur ergriffen werden, wenn verhaltensorientiere Anordnungen nicht zu einem Abstellen der Zuwiderhandlung geeignet sind.

Verhaltensorientierte Maßnahmen zielen meist auf einen konkreten Teil des Marktverhaltens, beispielsweise kann auferlegt werden, die Geschäftsbedingungen oder Preissysteme zu ändern. Als strukturelle Maßnahme käme z.B. die Veräußerung von Gegenständen des Betriebsvermögens oder die Gewährung von Zugang zu bestimmten Einrichtungen. Prinzipiell könnte darunter auch eine Entflechtung gefasst werden, wobei hierzu im Einzelnen in der kartellrechtlichen Literatur diskutiert wird, wie weitreichend strukturelle Maßnahmen sein dürfen. Übereinstimmend wird jedoch davon ausgegangen, dass eine solche Entflechtungsanordnung allenfalls in seltenen Fällen verhältnismäßig sein könnte.

Zusätzlich kann bei festgestellten Verstößen gegen die Art. 101 oder 102 AEUV weiterhin eine Geldbuße verhängt werden.

Kommentar

Das wiederholte Vorgehen gegen Google und andere Big-Tech-Unternehmen unterstreicht den Fokus der EU-Kommission, gegen eine Schwächung des Wettbewerbs in diesem Bereich besonders aktiv vorzugehen. Trotz der grundsätzlichen Möglichkeit und der Drohung, strukturelle Maßnahmen und ggf. sogar eine Entflechtung vorzunehmen, bleibt abzuwarten, ob es tatsächlich dazu kommen wird. Bisher gibt es hierzu keine aktuellen Anwendungsbeispiele. Gerade wegen der Subsidiarität von strukturellen Maßnahmen und deren enormer Eingriffsintensität ist der Begründungsaufwand für die Kommission hoch.

Auch wenn Google über starke Marktmacht verfügt und bei aller Kritik an seinem Geschäftsmodell, bleibt festzuhalten, dass Marktmacht allein nicht per se wettbewerbswidrig ist, sondern nur deren Missbrauch. Insbesondere eine Marktstrukturkontrolle ist im Rahmen von Art. 102 AEUV – anders als in der Fusionskontrolle – gerade nicht vorgesehen. In diesem Normgefüge sollte sich das Vorgehen der Kommission auch zukünftig einordnen lassen, damit Rechtssicherheit herrscht und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt bleibt.

 

 

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