Das "In-camera" Verfahren im Verwaltungsprozess – Schutz behördlicher Akten und Informationen | Fieldfisher
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Das "In-camera" Verfahren im Verwaltungsprozess – Schutz behördlicher Akten und Informationen

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Inhaltsverzeichnis

Grundlagen und Handlungsempfehlungen
I. Das Informationsbegehren im Gerichtsverfahren
II. Allgemeiner Überblick zum "In-camera" Verfahren 
III. Wesentliche Details zu § 99 I S.1 VwGO – Voraussetzungen einer Sperrerklärung
IV. § 99 II VwGO – das formelle "In-camera" Verfahren
V. Die Sperrerklärung
VI. Grundsatzfragen im Zusammenhang mit dem Informationsfreiheitsrecht
VII. Grundsatzfragen im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren
VIII. Entscheidung über die Sperrerklärung
IX. Vor- und Nachteile einer Sperrerklärung
X. Konkrete Rechtsprechung am Beispiel von Bundesverwaltungsgerichtsentscheidungen
XI. Fazit und Ausblick




Grundlagen und Handlungsempfehlungen

Nach § 99 Abs. 1 VwGO muss die Behörde in einem gerichtlichen Verfahren ihre Akten vorlegen. Ebenso kann es neben dieser prozessualen Vorschrift Ansprüche z.B. aus dem Informationsfreiheitsgesetz geben, die auf die Offenlegung von Unterlagen im Gerichtsverfahren gerichtet sind. Aber was, wenn die Unterlagen geheimhaltungsbedürftig sind und nicht einer Gerichtsöffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen?

Hier bietet sich das "In-camera" Verfahren an. Doch häufig ist dieses in der behördlichen Praxis nicht bekannt und wird falsch verstanden. Mit der folgenden Darstellung möchten wir Behördenvertretern eine Information an die Hand geben, die sich in Verwaltungsgerichtsprozessen Herausgabeverlangen des Gerichts zu ihren Verwaltungsunterlagen ausgesetzt sehen. Die folgenden Informationen sollen dazu dienen, auf das Thema Informationsschutz in Gerichtsverfahren hinzuweisen, Tipps zu geben und auf mögliche Problemfelder hinzuweisen.
 

Ist Ihre Behörde derzeit mit Gerichtsverfahren befasst und hat das Gericht Unterlagen und Informationen angefordert, die Ihre Behörde lieber nicht vorlegen möchten? Hat Ihre Behörde sich gefragt, ob die Informationen dem Gericht vorgelegt werden müssen, damit es die Geheimhaltungsbedürftigkeit beurteilen kann? Sprechen Sie uns gerne dazu an. Wir haben jahrelange Expertise in diesem Bereich und stehen jederzeit für einen Austausch zur Verfügung.
 

Falls Sie gerade nicht so viel Zeit haben, die wichtigsten Informationen vorneweg:
 
  • Geheimhaltungsbedürftige Informationen müssen im Gerichtsverfahren nicht zwingend offengelegt werden; selbst dann nicht, wenn das Gericht Ihre Behörde dazu aufgefordert hat.
  • Hierfür hat der Gesetzgeber ein Zwischenverfahren geschaffen, in welchem ein besonderer Geheimhaltungsbedarf überprüft werden kann, ohne die zu schützenden Informationen offen zu legen -  das "In-camera" Verfahren.
  • Die Anforderungen zum Nachweis des Geheimhaltungsbedarfs sind von fachgesetzlichen Geheimhaltungsgründen zu trennen und sehr hoch.
  • Auch die prozessualen Voraussetzungen – Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Informationen, formelle Anforderungen an die Sperrerklärung- müssen hierbei in den Blick genommen werden.
  • Dennoch kann und sollte das "In-camera" Verfahren als Spielart des Prozessrechts in Erwägung gezogen werden, wenn das Hauptsachegericht die streitgegenständlichen Informationen oder Verwaltungsunterlagen anfordert, bei denen Ihre Behörde unsicher ist, ob sie vorgelegt werden können.
  • Hat man sich einmal mit den Details des "In-camera" Verfahrens befasst, ist es ein gutes Instrument, den prozessualen Ablauf des Gerichtsverfahrens mitzubestimmen und die Zugänglichmachung von behördlichen Informationen rechtlich abzusichern. 
 

Praxistipp aus unserer ErfahrungIst Ihre Behörde sich unsicher, ob vom Gericht angeforderte Informationen vorgelegt werden müssen, fragen Sie vorher stets einen Experten. Nach unserer Praxiserfahrung lassen sich behördliche Informationen oftmals vor dem Zugriff des Gerichts und der anderen Prozessbeteiligten schützen.
 



I. Das Informationsbegehren im Gerichtsverfahren

In den allermeisten Verwaltungsgerichtsprozessen wird das Gericht zunächst, um sich einen Überblick über das Verfahren zu verschaffen, den Verwaltungsvorgang, also die bei Ihnen vorliegende Akte zum Sachverhalt anfordern. Dies erfolgt auf Grundlage des § 99 I S. 1 VwGO im Rahmen der Amtsermittlungspflicht, da das Verwaltungsgericht von Amts wegen den Sachverhalt aufklären muss, §§ 86, 87 I Nr. 4 VwGO.

Sieht Ihre Behörde sich einer solchen Anforderung gegenüber, sollten nicht sofort alles vorgelegt werden, sondern stets geprüft werden, ob sämtliche Informationen tatsächlich vorgelegt werden müssen oder sollten. Bereits an dieser Stelle empfiehlt sich Rechtsrat, wenn in Ihrer Behörde Unsicherheiten bestehen.

Insbesondere bei Informationszugangsverfahren tritt in solchen Fällen der Umstand hinzu, dass das Gericht über das Anspruchsbegehren seiner Meinung nach nur entscheiden kann, wenn es die streitgegenständlichen Informationen bei der Behörde anfordert.

In diesen Fällen kommt ein "In-camera" Verfahren aus der Natur der Sache heraus öfter vor. Typische Verfahren sind solche bei Ansprüchen aus dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG), dem Umweltinformationsgesetz (UIG) oder entsprechenden landesgesetzlichen Regelungen. Jedermann kann diese Ansprüche gegen Bundesbehörden geltend machen. Oftmals wollen oder dürfen Behörden diese Ansprüche außergerichtlich nicht erfüllen, da Geheimhaltungsgründe entgegenstehen. Daher wenden sich die Antragsteller mittels Verpflichtungsklage sodann an die Verwaltungsgerichte. Gegenstand der Hauptsache sind demnach Informationsbegehren gegenüber der in Anspruch genommenen Behörde, in denen über Geheimhaltungsinteressen zu entscheiden ist.

In solchen Fällen können die Informationen, über die gestritten wird schon nicht dem Gericht vorgelegt werden, da das Verfahren andernfalls erledigt wäre. Denn der Gegner hat gemäß § 100 VwGO ein Recht in sämtliche Unterlagen, die dem Gericht vorliegen Einsicht zu nehmen.


Es gibt aber auch andere Verfahrenskonstellationen in denen sich ein "In-camera" Verfahren anbietet, wie zum Beispiel im Vergaberecht, im Sicherheitsrecht oder vielleicht sogar im Planungsrecht. Überall dort, wo der Gegner Informationen in einem gerichtlichen Verfahren anfordert, die eine Behörde nicht in ein gerichtliches Verfahren einführen und damit der Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens preisgeben möchte, kann das "In-camera" Verfahren sinnvoll sein.

Grundsätzlich muss die Behörde dieser Aufforderung gemäß § 99 I S.1 VwGO nachkommen. Jedoch gibt § 99 I S. 2 VwGO der Behörde die Möglichkeit, dem Auskunfts- und Vorlageverlangen bei Vorliegen bestimmter, ebenfalls in § 99 Abs. 1 VwGO geregelter Voraussetzungen, nicht nachzukommen. Die Erklärung und Begründung dieser Zurückweisung des gerichtlichen Verlangens erfolgt in Form einer sogenannten Sperrerklärung.
 


Praxistipp aus unserer Erfahrung: Behörden sind nicht verpflichtet sofort alles vorzulegen, was das Gericht anfordert. Sie können in den Fällen des § 99 I S. 2 VwGO die Vorlage verweigern.  
 

Bis 2001 gab es keine Möglichkeit die Verweigerung der Behörde einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung beschränkte eine Überprüfung darauf, dass lediglich zu überprüfen sei, ob die Behörde überwiegende Interessen als Voraussetzung einer Vorlageverweigerung glaubhaft gemacht habe. Hierfür hat es ausgereicht, überhaupt Gründe für die Geheimhaltungsbedürftigkeit darzulegen. In dieser Praxis hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Verletzung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG angenommen und das "In-camera" Verfahren als selbstständiges Zwischenverfahren begründet.

Das "In-camera" Verfahren ist vereinfacht gesagt ein Zwischenverfahren, innerhalb welchem die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung gemäß § 99 II i.V.m. § 189 VwGO auf Antrag, bei einem eigens dafür eingerichteten Spruchkörper, überprüft wird. Es dient somit dem Interessenausgleich gegenseitiger Pole: auf der einen Seite das behördliche Interesse, welches bei informationsrechtlichen Verfahren in der Wahrung (fach-)gesetzlicher Geheimhaltungspflichten liegt und dem sich aus Art. 19 IV GG ergebenden Interesse der informationsbegehrenden Partei.


Dies resultiert aus dem sensiblen Spannungsverhältnis zwischen Geheimhaltungsbedürfnis und Rechtsschutz. Aufgrund von § 100 VwGO hätte sich andernfalls möglicherweise das Klägerbegehren allein durch die Vorlagepflicht der Behörde überholt. In Informationszugangsverfahren wäre die Geltendmachung von Informationszugangsansprüchen ad absurdum geführt. In anderen Verfahren könnten Informationen offengelegt werden, die zwar nicht an sich antragsgegenständlich sind, jedoch der Gegenseite einen Einblick ermöglichen der von der Behörde oder dem Gesetzgeber so nicht gewollt ist.
Das einzige Mittel dem vorzubeugen, ist die Abgabe einer Sperrerklärung durch die Behörde, um die Informationen nicht in die Hauptverhandlung einbringen zu müssen und die Geheimhaltungsbedürftigkeit gerichtlich klären zu lassen.

Nachfolgend wird ein kurzer Überblick zu diesem speziellen und uns aus unserer eigenen Praxis bekannten Thema gegeben.

 

II. allgemeiner Überblick zum "In-camera" Verfahren 

Das "In-camera" Verfahren findet seine normative Rechtsgrundlage in § 99 VwGO. Wie bereits dargestellt regelt dieser in seinen zwei Absätzen 1. die Vorlagepflicht und 2. die Möglichkeit, die Vorlage mittels Sperrerklärung zu verweigern.

Die Verweigerungsmöglichkeit ist hierbei als Ermessensentscheidung ausgestaltet. Macht die oberste Aufsichtsbehörde von dieser Kompetenz Gebrauch, gibt sie gegenüber dem Gericht eine Sperrerklärung ab.
 

Praxistipp aus unserer Erfahrung: Die Abgabe einer Sperrerklärung sollte sorgfältig abgewogen werden. Mit ihr kann jedoch das Verfahren prozessual in einer besonderen Art- und Weise gestaltet werden, die nicht unterschätzt werden sollte.

Praxistipp aus unserer Erfahrung: Fordert das Gericht die Informationen nicht selbständig an, kann dennoch in einer Vielzahl von Fällen eine Sperrerklärung in Betracht kommen. Hierfür bedarf es der Entscheidungserheblichkeit der streitgegenständlichen Informationen, welche im Regelfall bei Gerichtsverfahren auf Informationszugang angenommen werden kann. Dies eröffnet die Möglichkeit einer weiteren Überprüfung der Geheimhaltungsbedürftigkeit der Informationen im Zwischenverfahren, wenn das Gericht erkennen lässt, dass es den Vortrag nicht ausreichen lässt oder diesem keinen Glauben schenkt.
 

Wird die Vorlage durch die oberste Aufsichtsbehörde verweigert, regelt § 99 II VwGO sodann umfassend die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung – das "In-camera" Verfahren. Die Sperrerklärung des § 99 I S.2 VwGO ist damit zwingend regelmäßig Voraussetzung für die Einleitung dieses gerichtlichen Zwischenverfahren.

Auf Antrag einer Partei, dies wird meist die Klägerseite sein bzw. die informationsbegehrende Partei, wird das Hauptverfahren ausgesetzt und einem Sondersenat die Sperrerklärung (sowie falls nach dortiger Ansicht erforderlich, die streitgegenständlichen Informationen) zur Überprüfung vorgelegt. Eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung erfolgt durch Beschluss und ohne mündliche Hauptverhandlung.
 

Praxistipp aus unserer Erfahrung: Gerade, wenn Ihre Behörde ein Verfahren führt, in dem weiterer Zeitgewinn eine wichtige Rolle spielt, kann sich das "In-Camera" Verfahren als "Taktik" anbieten.
 



III. wesentliche Details zu § 99 I S.1 VwGO – Voraussetzungen einer Sperrerklärung

Wie bereits angesprochen, regelt § 99 I S.1 VwGO die grundsätzliche bestehende Akten- und Vorlagepflicht der Behörden. Wird die Behörde als Adressat der Grundnorm des § 99 I S.1 VwGO von Seiten des Gerichts dazu aufgefordert entsprechende Unterlagen, Akten Informationen und Dokumente vorzulegen ist sie grundsätzlich verpflichtet der Forderung nachzukommen.

Die in S.1 beschriebene Grundregel der Vorlage- und Auskunftspflicht findet in S. 2 drei Ausnahmetatbestände, bei deren Vorliegen es möglich ist, die Vorlage und Auskunft von Informationen zu verweigern. Eine solche Verweigerungserklärung obliegt der obersten Aufsichtsbehörde und darf nur von dieser erklärt werden. Ist die prozessbeteiligte Behörde zugleich ein (Landes- oder Bundes-) Ministerium fallen entscheidende und aufgeforderte Behörde zusammen. Ist jedoch eine nachgeordnete Behörde beteiligt, muss sie die Entscheidung über eine Verweigerung entsprechend an ihre oberste Aufsichtsbehörde vorlegen und hat somit keinen eigenen Entscheidungsspielraum.

Die Verweigerung der Vorlagepflicht kann unter drei abschließenden Tatbestandsvoraussetzungen, von denen das Vorliegen einer ausreicht, erfolgen.

Die oberste Aufsichtsbehörde darf die Vorlage der Informationen verweigern,

1. wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten und Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.
Hierbei sind von der ermessensausübenden Behörde die wesentlichen Interessen der Geheimhaltung mit den durch die Vorlage ansonsten drohenden Nachteilen substantiiert darzulegen. Als Beispiel für ein dem Wohl des Bundes drohenden Nachteil ist die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit seiner Institutionen, wie zum Beispiel den Sicherheitsbehörden oder dem Geheimdienst zu nennen. Für die Annahme eines solchen Nachteils bedarf es im Mindestmaß einer hohen Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieses Nachteils. Die genauen Anforderungen an das Vorliegen dieses Ausnahmetatbestandes wurden und werden durch die Rechtsprechung geformt und sind damit teilweise im Wandel.

2. wenn eine gesetzlich vorgeschriebene Geheimhaltungsbedürftigkeit vorliegt.
Hierbei muss es sich um eine Vorschrift handeln, die den Behörden explizit die Geheimhaltung bestimmter Informationen auferlegt. Dieser Tatbestand findet selten Anwendung, was sicherlich auch daran liegt, dass Regelungen des Datenschutzes oder fachgesetzliche Ausnahmetatbestände nicht hierunter fallen. Es geht bei diesem Tatbestand um essentielle Geheimhaltungsvorschriften wie das Post- und Fernmeldegeheimnis oder das Sozialgeheimnis.

3. wenn aufgrund des Wesens der Information diese geheim gehalten werden muss.
Wann genau Informationen ihrem Wesen nach geheim zu halten sind, lässt sich nicht abschließend benennen. Anknüpfungspunkt für diese Annahme können sowohl das Zustandekommen der Informationen sein, als auch die konkreten Inhalte selbst. Ein Beispiel für eine solche Geheimhaltungsbedürftigkeit sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse.
 

Praxistipp aus unserer Erfahrung: Zu den einzelnen Ausnahmetatbeständen gibt es umfangreiche Rechtsprechung, die im Einzelfall von Ihren Justiziaren oder externen Rechtsberater auf Übertragbarkeit auf den eigenen Fall geprüft werden sollte.
 



IV. § 99 II VwGO – das formelle "In-camera" Verfahren

§ 99 II VwGO schließt an die materiellen Voraussetzungen der Möglichkeit der Abgabe einer Sperrerklärung an und regelt umfangreich die prozessuale Durchführung des Zwischenverfahrens. Bereits durch die aufmerksame Lektüre des Absatzes erhält man einen guten Überblick, wie das "In-camera" Verfahren abläuft und eingeleitet wird.

Wird von Seiten der Behörde eine Sperrerklärung vorgelegt, wird das Zwischenverfahren eingeleitet. Die Hauptsache wird für die Dauer des Zwischenverfahrens ausgesetzt. Die Entscheidung des Sondersenates ergeht als Beschluss und ohne mündliche Hauptverhandlung, § 99 II S.2 VwGO. Der entsprechend zuständige Sondersenat ist entweder bei den Oberverwaltungsgerichten angesiedelt oder beim Bundesverwaltungsgericht.
Die Zuständigkeit richtet sich nach der Instanz, bei welcher das Hauptsacheverfahren anhängig ist und danach, welche Behörde als oberste Aufsichtsbehörde eine Sperrerklärung ausgesprochen hat. Die oberste Aufsichtsbehörde, welche die Sperrerklärung abgegeben hat, ist beizuladen.

Kern der Rechtmäßigkeitsprüfung des "In-camera" Verfahrens sind die Ermessenserwägungen der vorlageverweigernden Behörde. Um diese der gerichtlichen Kontrolle zugänglich zu machen, regelt § 99 II S. 5 VwGO die Vorlagepflicht der entsprechenden Akten gegenüber dem Sondersenat. Um die Geheimhaltungsinteressen ausreichend zu wahren, unterliegt das Verfahren dem materiellen Geheimnisschutz. Die Einbringung der sensiblen Informationen, über deren Geheimhaltungsbedürftigkeit entschieden werden soll, erfolgt unter Ausschluss der Öffentlichkeit und dem Verzicht auf eine mündliche Verhandlung.

Wird die Sperrerklärung als ermessensfehlerfrei und rechtmäßig angesehen, erhalten das Gericht der Hauptsache und die Beteiligten keinen Zugriff auf die geheimhaltungsbedürftigen Informationen. Das Hauptsachegericht muss seine Entscheidung sodann auf der ihm zugänglichen Tatsachenlage treffen.

Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung ergeht als Beschluss und ist mit dem Rechtsmittel der Beschwerde anfechtbar, soweit nicht bereits die Zuständigkeit beim Bundesverwaltungsgericht liegt, § 99 II S. 13, 14 VwGO. Sie enthält im Tenor eine Feststellung darüber, ob die Sperrerklärung rechtmäßig oder rechtswidrig ist.

 

V. Die Sperrerklärung

Dreh- und Angelpunkt des In-camera Verfahrens ist die zuvor abzugebende Sperrerklärung. Diese Erklärung muss die materiellen Voraussetzungen des § 99 I S.2 VwGO erfüllen und erfolgen, bevor die Informationen dem Gericht vorgelegt werden.
 

Praxistipp aus unserer Erfahrung: Eine nachträgliche Sperrerklärung ist nicht zielführend und kann nicht verhindern, dass der Gegner gemäß § 100 VwGO beim Gericht Einsicht in die vorgelegten Informationen nehmen kann.  Gleiches gilt für die Vorlage der Informationen mit dem Hinweis, dass diese nicht der Gegenseite vorgelegt werden dürfen. Dieser Hinweis hat keinerlei rechtliche Wirkung.
 


Die Erklärung muss dem Gericht vorgelegt werden, dabei ist es irrelevant, ob sie direkt von der obersten Aufsichtsbehörde oder von der Ausgangsbehörde vorgelegt wird.

1. Aufbau

Der Aufbau der Sperrerklärung lässt sich grob in zwei Teile unterscheiden. Im ersten Teil wird die Verweigerung erklärt. Dem Gericht muss aus der Sperrerklärung erkennbar sein, auf welche Dokumente, Unterlagen und Auskünfte sich diese bezieht. Es genügt dabei kein genereller Verweis auf zum Beispiel “alle angeforderten Unterlagen“. Alle Dokumente sollten mit entsprechender Kennzeichnung aufgelistet und in einer Übersicht geordnet dargestellt werden. Im zweiten Teil der Sperrerklärung folgt die Begründung, aus welcher hervorgehen muss, dass die entscheidende Behörde eine Ermessensentscheidung vorgenommen hat und nach dieser die Voraussetzungen der Verweigerungstatbestände als gegeben ansieht.
 

Einfache Struktur einer Sperrerklärung*

Betreff: Sperrerklärung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO
Bezug: gerichtliche Anforderung der Informationen/Akten (Datum)
Aktenzeichen des Gerichtsverfahrens
Datum
 
In der Verwaltungsstreitsache Müller ./. Bundesrepublik Deutschland

 
wird im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine
 
            S p e r r e r k l ä r u n g
 
durch das (Behörde die die Sperrerklärung abgibt) abgegeben.
 
In der Verwaltungsstreitsache vor dem Oberverwaltungsgericht (z.B. Berlin-Brandenburg) unter dem Aktenzeichen (ergänzen) wird die über die Schriftsätze vom 01.01.2021 hinausgehende Auskunft und Vorlage von Dokumenten verweigert, soweit mit dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom (Datum) und/oder der gerichtlichen Verfügung vom (Datum) die weitere Substantiierung/ die Vorlage folgender Dokumente begehrt wird (…).
 
Begründung:
 
I. (Darstellung des Sachverhalts)
 
II. (rechtliche Begründung – insbesondere Ausführungen zu Nachteilen für das Wohl des Bundes/ gesetzliche Geheimhaltungsgründe/ wesensmäßige Geheimhaltungsgründe und Ermessenerwägungen)
 
III. (Ergebnis)

*Bitte betrachten Sie dieses Muster nur als eine Empfehlung, die keine Rechtsberatung im konkreten Fall darstellt. Sie ist stets auf den Einzelfall genau anzupassen. Sofern Sie hierbei Unterstützung benötigen, sprechen Sie uns gerne an.


2. Inhalt 

Kern der Überprüfung im "In-Camera" Verfahren sind die getätigten Ermessenserwägungen der verweigernden Behörde.



Praxistipp aus unserer Erfahrung:    
Dabei muss die Begründung soweit nachvollziehbar dargelegt werden, dass es dem Spruchkörper, dem die Sperrerklärung vorgelegt wird, möglich ist, das besondere Geheimhaltungsinteresse nachzuvollziehen, ohne die genauen Inhalte der betroffenen Dokumente zu kennen. Es ist wichtig, jedes einzelne in Rede stehende Dokument und dessen Verweigerung substantiiert und unter Anwendung des eröffneten Ermessensspielraums einzeln zu bearbeiten und die Entscheidung zu begründen. Die Ermessenserwägungen sind stets an der Geheimhaltungsbedürftigkeit der Informationen auszurichten und nicht an etwaigen daneben bestehenden Interessen. Der Inhalt der Sperrerklärung muss dabei genügend Aufschluss über die Geheimhaltungsinteressen geben und ein Mindestmaß an Plausibilität ausweisen. Etwaige Verweise auf vorangegangene Schriftsätze oder fachgesetzliche Versagungsgründe genügen insoweit nicht.
 

Da es sich bei der Vorschrift des § 99 I S.2 VwGO um eine prozessuale Abwägungsentscheidung handelt, müssen auch etwaige Nachteile, die durch die Nichtvorlage der anderen Partei entstehen könnten Berücksichtigung finden. Hierbei liegt der Schwerpunkt insbesondere darin das Rechtsschutzinteresse, Art. 19 IV GG, zu thematisieren.

Selbst wenn nach den zugrundeliegenden Fachgesetzen eine Geheimhaltung im Wege einer gebundenen Entscheidung vorgesehen ist, bedarf es in der Sperrerklärung einer eigenständigen Ermessensausübung, die einem selbständigen Prüfungsmaßstab unterliegt.

Aus der Sperrerklärung muss sich auch erkennen lassen, dass etwaige mildere Maßnahmen als eine komplette Verweigerung der Vorlage in Betracht gezogen worden sind - beispielsweise das Schwärzen von Textpassagen oder die lediglich teilweise Vorlage von Informationen.

 

VI. Grundsatzfragen im Zusammenhang mit dem Informationsfreiheitsrecht

Nach einhelliger Meinung kommt die Anwendung des "In-Camera" Verfahrens auch in Hauptsacheverfahren, deren Hauptgegenstand Informationsansprüche sind, unterschiedslos zur Anwendung. Den Stimmen, die das "In-Camera" Verfahren auf Informationsansprüche nicht anwenden wollten ist entgegenzuhalten, dass bereits nach dem Wortlaut des § 99 II VwGO kein Raum für eine solche Annahme besteht, und der erst durch das Zwischenverfahren gewährleistete Rechtsschutz auch und gerade in informationsrechtlichen Hauptsacheverfahren zwingend erforderlich ist. Wichtig ist jedoch das Verhältnis der Ausnahmetatbestände der Spezialgesetze des Informationsfreiheitsrechts wie den Versagungstatbeständen der § 4, 8 IFG oder den Parallelvorschriften des UIG zu der Prozessvorschrift des § 99 VwGO.

Das Bundesverwaltungsgericht sieht in § 99 I S. 2 VwGO eine bundesgesetzliche Spezialvorschrift, innerhalb welcher es auf in anderen Gesetzen zu findende Verweigerungstatbestände wie die oben erwähnten nicht ankommt. Anwendung finden lediglich der von § 99 I S.2 VwGO angewandte Ermessensmaßstab und die dort genannten Voraussetzungen.

Die Ausschlusstatbestände der Fachgesetze wie im IFG sind also nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gleichzusetzen mit dem in § 99 I S. 2 VwGO aufgezählten Geheimhaltungsgründen. Es genügt somit nicht, als Begründung und zum Nachweis der rechtmäßigen Ermessensausübung, auf die fachgesetzlichen Verweigerungsgründe des IFG oder UIG zu verweisen. Andernfalls müsste auch im Zwischenverfahren über die fachgesetzlichen verweigerungsgründe entscheiden und das Hauptsachegericht würde seiner Entscheidung beraubt.

 

VII. Grundsatzfragen im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren

Auch im Vergaberecht kann das "In-camera" Verfahren eine Rolle spielen.

Geht es in einem Nachprüfungsverfahren um die Frage, ob der Zuschlagsbieter eine technische Lösung angeboten hat, die den Ausschreibungsbedingungen entspricht oder nicht entspricht, unterliegt diese technische Lösung dem Geheimnisschutz und kann weder in aller Öffentlichkeit noch mit allen – und damit auch den konkurrierenden – Verfahrensbeteiligten erörtert werden, da sonst der Geheimnisschutz obsolet wäre. Ein gleich gelagertes Problem ergibt sich, wenn es um die Überprüfung bestimmter Zahlen in Bilanzen oder Kalkulationsunterlagen geht.

Ein "In-camera" Verfahren scheidet jedoch deswegen aus, weil Vergabekammer und Vergabesenat nach Art. 103  Abs. 1 GG der Entscheidung keine Erkenntnisse zugrunde legen, zu denen die Bieter keine Stellung nehmen konnten. Da die Nachprüfungsinstanzen aber beim "In-camera"-Verfahren nur das Ergebnis ihrer Überprüfung, nicht aber den Inhalt bekannt geben können, müsste sich der Antragsteller blind auf diese Mitteilung verlassen. Er wäre nicht in der Lage, eine fundierte Stellungnahme hierzu abzugeben; sein Grundrechtsschutz wäre nicht ausreichend gewahrt.

Anders sieht es bei klassischen Verwaltungsgerichtsverfahren. Hier kann auch im Bereich des Vergaberechts das "In-camera" Verfahren zur Anwendung kommen. Denn zum Beispiel bei der Vergabe von Telekommunikationsfrequenzen sieht § 138 II TKG selbst die Möglichkeit eines "In-camera" Verfahrens vor und verweist hierbei auf § 99 VwGO. Es handelt sich um ein abgewandeltes Vorgehen, welches jedoch den gleichen Rechtsgedanken Rechnung trägt.

 

VIII. Entscheidung über die Sperrerklärung

Der Sondersenat entscheidet per Beschluss, ob die verweigernde Behörde ihrer Vorlagepflicht nachkommen muss oder ob die Sperrerklärung rechtmäßig abgegeben wurde. Wird die Sperrerklärung für ermessensfehlerhaft -und damit rechtswidrig- gehalten, muss die beklagte Behörde dem Vorlageverlangen des Hauptsachegerichts grundsätzlich nachkommen und die von der Klägerseite begehrten Informationen in die Hauptverhandlung einbringen. Scheitert die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung an Ermessensfehlern, kann grundsätzlich die Ermessensentscheidung nachgebessert und eine neue Sperrerklärung abgegeben werden.

Gesetzlich und auch in der Rechtsprechung ist nicht geregelt, wie oft eine solche Nachbesserung erfolgen kann. Es sollte jedoch davon ausgegangen werden, dass das Hauptsachegericht nicht unendlich viele Sperrerklärungen ins "In-camera" Verfahren abgeben wird. Irgendwann wird es eine Beweislastentscheidung treffen.

 

Praxistipp aus unserer Erfahrung: Eine Sperrerklärung und eine weitere nachgebesserte Sperrerklärung haben in unserer Praxis bereits in einem Hauptverfahren zu zwei "In-camera" Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht geführt (Hauptsache Berufungsverfahren beim OVG Berlin-Brandenburg).
 

Im Zusammenhang mit Ansprüchen aus dem Informationsrecht bedeutet dies aber auch, dass letztlich die Entscheidung des Hauptsachegerichts durch den Beschluss des Zwischenverfahrens über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung geprägt wird. Dadurch, dass das Informationsbegehren identisch mit den Informationen ist, die durch die Sperrerklärung dem Gericht nicht vorgelegt werden und das Informationsbegehren betreffen, wird sodann mit der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung durch den Sondersenat auch indirekt die Entscheidung über die Hauptsache gefällt.

 

IX. Vor- und Nachteile einer Sperrerklärung

Die Sperrerklärung ist ein mögliches Instrument, wenn es um ökonomische und strategische Prozessführung geht. Je nach Perspektive kann sie Vor- aber auch Nachteile mit sich bringen, die sich auf den gesamten Prozessverlauf auswirken.

Grundsätzlich führt die Abgabe einer Sperrerklärung nicht zwingend auch zu einem "In-camera" Verfahren. Nur auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten wird das "In-camera" Verfahren eingeleitet. Kommt es zur Einleitung dieses Verfahrens ist jedoch klar, dass sich der Prozess um einen nicht abschätzbaren Zeitraum verlängern wird. Diese Verlängerung des Prozesses kann entsprechend Nach- aber auch Vorteile mit sich bringen. Zu denken ist hier beispielsweise an einen Informationsanspruch, der an ein aktuelles Ereignis geknüpft ist und dessen Stattgabe ein großes gesellschaftliches Interesse mit sich bringt. Je mehr Zeit zwischen dem Ereignis und einer Entscheidung über das entsprechend damit zusammenhängende Informationsbegehren vergeht, desto geringer wird die mediale Berichterstattung ausfallen. Unabhängig von den dahinterstehenden Interessen kann die Sperrerklärung eine Verfahrensverzögerung bedeuten. Hier ist dann stets abzuwägen, ob eine solche (politisch) gewollt ist.

Darüber hinaus ist die Abgabe einer Sperrerklärung indirekt eine Möglichkeit, innerhalb des Hauptsacheverfahrens die Zuständigkeit eines höheren Gerichts zu begründen. Die Sondersenate des Oberverwaltungsgerichts oder des Bundesverwaltungsgerichts sind für die Durchführung des In-camera Verfahrens zuständig und somit wird neben dem Hauptsachegericht ein weiteres Gericht bzw. ein weiterer Senat mit der Sache im weiteren Sinne betraut. Diese „doppelte“ Überprüfung schafft einmal mehr Vertrauen in die Verwaltungsgerichtsbarkeit und bietet dem Beteiligten, der die Sperrerklärung überprüft sehen möchte, eine Rechtsschutzmöglichkeit außerhalb des eigentlichen Hauptsacheverfahrens.

Auch eine zeitnahe rechtskräftige Entscheidung kann gewünscht sein. Dann sollte gut überlegt werden, ob es zwingend eines "In-camera" Verfahrens bedarf, oder eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung des Hauptsachegerichts ausreicht. Denn oftmals bedarf es einer solchen aus politischen Gründen, um die Behörde abzusichern.

Insbesondere hinsichtlich informationsrechtlicher Begehren hat die Sperrerklärung und deren Überprüfung im "In-camera" Verfahren wohl große praktische Auswirkungen und stellt einen Orientierungsmaßstab für die Entscheidung in der Hauptsache dar. Dies insbesondere im Hinblick auf den Geheimhaltungsbedarf und die Anforderungen an einen solchen. Der unterschiedliche Prüfungsmaßstab sollte jedoch im Blick behalten werden. Das "In-Camera" Verfahren ist eher als Ergänzung zu fachgesetzlichen Geheimhaltungsgründen zu sehen. Die Durchführung kann schlussendlich dazu dienen, sich auf eine Berufung oder Revision vorbereiten zu können. Dies gilt für alle Beteiligten.
 

Praxistipp aus unserer Erfahrung: In jedem Fall sind vor der Abgabe einer Sperrerklärung umfangreiche Erwägungen anzustellen und die eventuellen Auswirkungen auf das Verfahren im Blick zu behalten. Hier kann sich die Einbindung eines externen Rechtsberaters bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Verfahren anbieten.
 

 

 



X. konkrete Rechtsprechung am Beispiel von Bundesverwaltungsgerichtsentscheidungen

Betrachtet werden sollen abschließend drei jüngere "In-camera" Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2020. Beide Verfahren sind in der Hauptsache auf Informationsansprüche aus dem IFG sowie dem UIG gerichtet und dem Sondersenat des Bundesverwaltungsgerichts im selbstständigen Zwischenverfahren vorgelegt worden.

Der erste Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. April 2020 (Az. 20 F 2/19) (NVwZ-RR 2020 S.909-912 (1. Instanz VG Berlin 2 K 291/16; 2. Instanz OVG Berlin-Brandenburg OVG 12 B 30.18)) betraf in der Hauptsache ein Informationsbegehren eines Journalisten im Zusammenhang mit der „Dieselaffäre“ gegen das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (jetzt Bundesministerium für Digitales und Verkehr).

Der zweite hier besprochene Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. August 2020 (Az. 20 F 6.19, BeckRS 2020, 22724) betraf im Hauptsacheverfahren ein Informationsbegehren eines Verlagshauses hinsichtlich Akten des NSU Gründungmitglieds Uwe Mundlos gegenüber dem Bundesministerium der Verteidigung.

Im Folgenden wird kurz betrachtet, inwieweit sich aus den Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts ein genereller Leitfaden für die Anforderungen an eine ermessensfehlerfreie Sperrerklärung und das "In-camera" Verfahren an sich ableiten lässt. Beide Sperrerklärungen sind als (teilweise) ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig angesehen worden.

Gemein haben beide Verfahren, dass die Sperrerklärungen der obersten Aufsichtsbehörde jeweils abgeben wurden, bevor das Gericht einen förmlichen Beweisbeschluss über die Entscheidungserheblichkeit der streitgegenständlichen Informationen gefasst hatte. Der Senat des Bundesverwaltungsgerichts nahm dennoch die Entscheidungserheblichkeit, die zwingende Voraussetzung für die Sperrerklärung ist, als gegeben an. Begründet wurde dies mit der tatsächlichen Verfahrensgegenständlichkeit der Informationen in der Hauptsache. Die Entscheidungserheblichkeit der Unterlagen ergäbe sich bereits aus dem Informationsanspruch an sich und dem Vorlagebeschluss des Hauptsachegerichts. Dieser impliziere die Entscheidungserheblichkeit. Es bedürfe daher keiner expliziten Feststellung der Entscheidungserheblichkeit des Gerichts.
 

Praxistipp aus unserer Erfahrung: Das kann in Verfahren, die Ihr Haus taktisch steuern will ein Aspekt sein, über den nachgedacht werden sollte. Auch ohne Anforderung bestimmter Informationen durch das Hauptsachegericht kann eine Sperrerklärung abgegeben werden.
 

Daneben wurde in den Beschlüssen die zwingende Ermessensausübung als Voraussetzung für eine rechtmäßige Sperrerklärung hervorgehoben. Der Senat des Bundesverwaltungsgerichts machte deutlich, dass die Behörde immer ein Ermessen auszuüben hat, auch wenn die Verweigerungstatbestände des IFG (in diesem Fall § 5 II IFG) einen Ermessensspielraum nicht vorsehen und danach ein zwingendes Geheimhaltungsbedürfnis besteht. Es wurde damit deutlich, dass an die Ermessensausübung i.S.d § 99 I S. 2 engere Voraussetzungen geknüpft werden, als an die Verweigerungstatbestände der Fachgesetze und die Ausnahmetatbestände des § 99 VwGO restriktiv auszulegen sind.
 

Praxistipp aus unserer Erfahrung: Ein Verweis auf die Begründung in vorangegangenen Schriftsätzen genügte dem Bundesverwaltungsgericht ebenfalls nicht als ausreichende Ermessensausübung. Auch das Berufen auf die Kennzeichnung der Akten als „VS-Vertraulich“ genügt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht um ein Geheimhaltungsinteresse von erheblichem Gewicht im Sinne des § 99 I S. 2 VwGO anzunehmen. Hier sollte daher sorgfältig und ausführlich argumentiert werden.
 

Es wird damit in beiden Entscheidungen verdeutlicht, dass es sich bei der Abwägung im Rahmen des § 99 I S. 2 VwGO um eine spezifische prozessuale Ermessenentscheidung handelt, bei der die Gründe des Geheimhaltungsschutzes einer erkennbaren Einzelfallabwägung unterliegen müssen. Hierbei ist explizit die „rechtsschutzverkürzende Wirkung der Verweigerung“ zu berücksichtigen, die dem anderen Beteiligten entsteht, wenn eine Sperrerklärung abgegeben wird.

Abschließend gilt es noch eine dritte grundlegende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (ebenfalls ergangen in Sachen Uwe Mundlos) zu betrachten – Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2019 – Az. 7 C 20.17. In dieser stellte das Bundesverwaltungsgericht nämlich grundlegend fest, dass bei Vorliegen eines Mindestmaßes an Plausibilität des Vortrags zu den fachgesetzlichen Geheimhaltungsgründen, stets die streitgegenständlichen Unterlagen anzufordern und ihre materiell richtige Einstufung in einem "In-camera" Verfahren zu überprüfen ist.
 

Praxistipp aus unserer Erfahrung: Wie genau dieses Mindestmaß an Plausibilität erfüllt werden kann ist nicht abschließend geklärt. jedenfalls lässt sich aber mit gutem substantiiertem Vortrag hieraus unter Umständen ein Berufungs- oder Revisionsgrund herleiten, wenn das Ausgangsgericht trotz dieses Vortrags kein "In-camera" Verfahren einleitet.
 

Es zeigt sich an dieser Linie des Bundesverwaltungsgerichts, wie hoch die Anforderungen an eine ermessensfehlerfreie Sperrerklärung sind und dass es oft rechtliche Nuancen sind, die eine fehlerfreie Sperrerklärung ausmachen. Nichts destotrotz kann das Hauptsachegericht über die Durchführung eines "In-camera" Verfahrens nicht frei disponieren, sondern muss sich an einen konkreten Ablauf halten. Dies wiederum ermöglicht den Beteiligten eines solchen Gerichtsverfahrens einen Handlungsspielraum zur Gestaltung des Verfahrensablaufs.

 

XI. Fazit und Ausblick

Es bleibt festzuhalten, dass mit der Einführung des "In-camera" Verfahrens eine wichtige Rechtsschutzlücke geschlossen wurde. Dies hat jedoch zur Folge, dass die Anwendung noch viele Aspekte mit sich bringt, die es durch die Rechtsprechung zu konkretisieren gilt. Insbesondere die aktuelle Auffassung der Senate bezüglich des Verhältnisses fachgesetzlicher Versagungsgründe zu den Versagungstatbeständen des § 99 I S.2 VwGO bereitet in diesem Zusammenhang Schwierigkeiten. Darüber hinaus ist leider festzustellen, dass es bis jetzt kaum eine Sperrerklärung geschafft hat, die hohen Hürden der Sondersenate zu überwinden und als rechtmäßig eingestuft zu werden. Eine vollständige Harmonisierung des Geheimnisschutzes im Fachrecht und Prozessrecht ist noch nicht gelungen und es bleibt abzuwarten, ob dies in Zukunft angegangen wird.
 

Praxistipp aus unserer Erfahrung: Besteht in Ihrer Behörde Unsicherheit, ob das "In-camera" Verfahren einen Vorteil bringt oder sieht Ihre Behörde sich einem solchen von der/dem anderen Prozessbeteiligte ausgesetzt, holen Sie Rat Ihres Justiziariats oder eines Rechtsanwalts ein. Hier bestehen spannende Chancen, das Verfahren im eigenen Sinne mit zu gestalten.
 

Bei sämtlichen Fragen zu diesem Thema stehen Ihnen Christine Charlotte Fischer, Dennis Hillemann und Tanja Ehls selbstverständlich bereit.

 

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