Corona-Überbrückungshilfen: Wann ist ein Unternehmen in Schwierigkeiten? | Fieldfisher
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Corona-Überbrückungshilfen: Wann ist ein Unternehmen in Schwierigkeiten?

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Mit diesem Rechtsupdate möchten wir Unternehmen sowie Steuerberater:innen über die von uns beobachteten Rechtsentwicklungen bei den Corona-Sofort- und Überbrückungshilfen informieren. Die Zahl der Ablehnungen auf Überbrückungshilfen haben sich deutlich erhöht, sodass ein gesteigertes Interesse an den Gründen für diese Umstände besteht. Schließlich sind viele Unternehmen auf entsprechende Fördersummen angewiesen. Damit Sie auf dem aktuellen Stand bleiben, fassen wir Ihnen wöchentlich eine wichtige Entscheidung zu diesem Thema zusammen, sodass aktuelle Rechtsentwicklungen verfolgbar bleiben.

VG Würzburg (8. Kammer): Ablehnung der Überbrückungshilfe III (Urteil vom 14.11.2022 – W 8 K 22.95)

 

Sachverhalt:

Die Klägerin beantragt für ihr Unternehmen und weitere in den Verbund gestellte Unternehmen Überbrückungshilfe III. Die Behörde moniert allerdings, dass eines der Unternehmen sich in einem relevanten Zeitraum in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden hatte und die Klägerin keine Gegenbeweise erbringe. Als die Klägerin die Beweise auch nach mehrfacher Aufforderung nicht erbringt, stuft die Behörde Teile des Unternehmensverbundes als "sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlich" ein und lehnt große Teile des Fördermittelantrags ab. Zusätzlich wurden auch andere Fixkostenpunkte abgelehnt, die aber individuell zu betrachten und nicht weiter relevant sind.
 
Die Klägerin erhebt Klage gegen den teilweise ablehnenden Bescheid: Die Behörde lege Tatsachen zugrunde, die nicht ihrer bisherigen Förderpraxis entspräche (Selbstbindung der Verwaltung) und unionsrechtswidrig sei bei der Auslegung des Begriffs "Unternehmen in Schwierigkeiten". Das Gericht der Europäischen Union (EuG) habe im Hinblick auf eine sächsische Beihilfenregelung klargestellt, dass für eine nationale Beihilferegelung, die von der EU-Kommission genehmigt worden sei, grundsätzlich der Begriff des Unternehmens in Schwierigkeiten maßgeblich sei, wie er von der Kommission in ihren Leitlinien festgelegt worden sei.
 
In dem Antragszeitraum habe sich die Klägerin außerdem mit keinem Unternehmen im Verbund in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden. Auf den Zeitraum davor komme es überhaupt nicht an.
 
Außerdem sei eine falsche Auslegung des Begriffs "Unternehmen" vorgenommen worden. Dieser orientiere sich an dem Begriff "verbundene Unternehmen" und sei wegen des europarechtlichen Einschlags auch an Art. 107 AEUV und den einschlägigen EU-Vorschriften zu messen. Lege man diesen Begriff zugrunde, sei das in den Verbund gestellte Unternehmen nicht "wirtschaftlich" tätig.
 
Im Ergebnis behandelt der Fall damit vor allem um die Auslegung des Begriffs "Unternehmen in Schwierigkeiten" und "Unternehmen" im Allgemeinen.

 

Entscheidungsgründe:

Auch in diesem Urteil wird zunächst wieder umfassend festgestellt, dass Förderrichtlinien gerichtlich nicht interpretierbar sind und es sich bei der Fördermittelgewährung um eine Billigkeitsleistung handelt. Diese orientiert sich regelmäßig an der Förderpraxis. Eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidungsgründe der zuständigen Behörde erfolgt diesbezüglich nur im Rahmen einer Ermessensüberprüfung (§114 VwGO).
 
Ein Rechtsanspruch besteht danach nur ausnahmsweise, insbesondere aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) durch eine Selbstbindung der Verwaltung aufgrund einer ständigen Verwaltungspraxis auf Basis der einschlägigen Richtlinie. Es ist allein Sache des Zuwendungsgebers, die Modalitäten einer Förderung festzulegen, seine Richtlinien auszulegen und den Förderzweck zu bestimmen sowie seine Förderpraxis nach seinen Vorstellungen entsprechend auszurichten.
 
Die Klägerin behauptet, dass die Verwaltungspraxis ihr gegenüber von der üblichen Förderpraxis abweiche und deshalb ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliege. Diese Behauptung wird jedoch nicht untermauert. Zwar bestehe keine Pflicht der Klägerin sog. "Gegenbeispiele" aufzuführen, es reiche allerdings auch nicht nur bloße Behauptungen anzustellen. Dementsprechend sei die Verwaltungspraxis der Klägerin gegenüber nicht zu beanstanden.
 
Bei der Frage, welche Unternehmen als verbundene Unternehmen gelten, wiederholt die Richtlinie Überbrückungshilfe III weitgehend den Wortlaut der EU-Definition in Anhang I Art. 3 Abs. 3 der VO (EU) Nr. 651/2014 (AGVO), wobei die Richtlinie Überbrückungshilfe III mit der Regelung in Nr. 2.4 Satz 1 Buchst. a eine über die EU-Definition hinausgehende zusätzliche - hier nicht einschlägige - Alternative eröffnet. Nach Nr. 2.4 Satz 1 Buchst. b der Richtlinie Überbrückungshilfe III sind verbundene Unternehmen Unternehmen, die die folgende Voraussetzung erfüllen: ein Unternehmen hält die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter eines anderen Unternehmens. Nach Nr. 5.2 Abs. 1 der FAQ richtet sich die Frage, welche Unternehmen als verbundene Unternehmen gelten nach der EU-Definition.
 
Vorliegend ist die zuständige Behörde davon ausgegangen, dass ein Unternehmensverbund u.a. dann gegeben sei, wenn ein Unternehmen als Finanzinvestor die Mehrheit der Anteile an einem anderen Unternehmen halte und habe die antragstellenden Unternehmen konsequent als Verbundunternehmen behandelt. Dies ist als ständige Verwaltungspraxis zu betrachten. Für die Frage, ob ein verbundenes Unternehmen vorliegt, muss entgegen der Ansicht der Klägerin nicht auf den europarechtlichen, d.h. beihilferechtlichen Unternehmensbegriff abgestellt werden. Der Begriff des Unternehmens umfasst nach ständiger Rechtsprechung des EuGH im Rahmen des Wettbewerbsrechts jede wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.
 
Die Regelung in Nr. 5.2 Abs. 1 Satz 1 der FAQ, dass sich nach der EU-Definition richtet, welche Unternehmen als verbundene Unternehmen gelten, betrifft lediglich den Begriff des Unternehmensverbunds an sich, nicht aber den Begriff des einzelnen Unternehmens, für den im Übrigen eine eigene - von der Richtlinie Überbrückungshilfe III und den FAQ aber nicht in Bezug genommene - Definition in Anhang I Art. 1 der VO (EU) Nr. 651/2014 normiert ist, die jedoch im Gegensatz zum oben dargestellten europarechtlichen Unternehmensbegriff das Vorhandensein eines Beschäftigten nicht voraussetzt. Auch europarechtlich ist die in Anhang I Art. 3 Abs. 3 der VO (EU) Nr. 651/2014 enthaltene Definition bezogen auf die Umstände des Einzelfalles zweckorientiert auszulegen.
 
Es liegt es im Gestaltungsspielraum des Zuwendungsgebers, welche Unternehmen er wie unterstützen möchte. Die Beklagte konnte in sachlich vertretbarer Weise bei den europarechtlichen Vorgaben für verbundene Unternehmen ansetzen und diese sachbereichsbezogen nach ihren Vorstellungen handhaben (vgl. VG München, U.v. 15.9.2021 - M 31 K 21.110 - juris Rn. 30 und 32).
 
Weiterhin ist es nicht willkürlich und ohne Sachgrund, die streitgegenständliche Förderung auf solche Unternehmen zu beschränken, die nicht schon bereits vor dem 31. Dezember 2019 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren und diesen Status danach nicht überwunden haben und eine entsprechende Bestätigung des prüfenden Dritten zu verlangen. Dementsprechend sei auch der Zeitraum vor dem Antrag relevant.
 
Der Gleichheitssatz ist nicht bei jeder Differenzierung verletzt, wenn rechtfertigende Sachgründe vorliegen. Gerade bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist es zulässig, zugunsten eines praktikablen Verwaltungsverfahrens im weiten Umfang zu typisieren und generalisieren, auch wenn dies zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit geht, insbesondere wenn es sich um die Gewährung einer Leistung handelt, auf die weder ein verfassungsrechtlicher noch ein einfachgesetzlicher Anspruch besteht.
 
Wir bei Fieldfisher sehen die Entscheidung grundsätzlich kritisch, da das VG Würzburg der Bewilligungsstelle einen sehr weiten Interpretationsspielraum eingeräumt hatte. Andere Verwaltungsgerichte haben die Spielräume bereits enger gesehen.
 
 

Zusammenfassung:

Ein Anspruch auf Fördermittelgewährung kann sich nur aus Art. 3 Abs. 1 GG iVm der Selbstbindung der Verwaltung ergeben; bei der behördlichen Ermessensentscheidung steht dem Gericht lediglich ein Überprüfungsspielraum im Rahmen des § 114 VwGO zu.
 
Der maßgebliche Zeitraum für die Bewertung eines "Unternehmens in Schwierigkeiten" bemisst sich ebenfalls an der Förderpraxis der zuständigen Behörde sowie den einschlägigen ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften.
 
Für die Auslegung des Begriffs "Unternehmen in Schwierigkeiten" sowie des Begriffs "Unternehmen" ist jedenfalls nach dem VG Würzburg nicht ausschließlich die EU-Definition maßgeblich. Vielmehr kommt es auf die Einzelfallauslegung der Behörde an, wonach nicht streng anhand der EU-Definition auszulegen ist, sondern zweckorientiert.
 
Das Gericht spricht der Behörde im Rahmen der Erteilung von Überbrückungshilfen einen äußerst weiten Auslegungsspielraum der ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften zu. Es ist auffällig, dass das Gericht selbst bei EU-Vorschriften keine zwingende Bindung bei der Auslegung sieht. Vielmehr kommt es stets auf die gängige Förderpraxis an. Insofern erscheint es bei gerichtlichem Vorgehen besonders effektiv, wenn bewiesen werden kann, dass gegen die gängige Förderpraxis verstoßen wurde.
 

Wenn Sie Unterstützung im Rahmen der Corona-Überbrückungshilfen zu einem negativen Bescheid benötigen, melden Sie sich gerne bei uns.          
 
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Über die Autoren

Dennis Hillemann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner im Verwaltungsrecht (vor allem Verwaltungsprozessrecht) im Hamburger Büro von Fieldfisher. Er berät Unternehmen und den öffentlichen Sektor, vor allem in komplexen Rechtsfragen des Öffentlichen Rechts und bei Streitigkeiten. Er berät seit mehreren Jahren auch im Fördermittelrecht.
 
Tanja Ehls begleitet als Rechtsanwältin im Frankfurter Büro von Fieldfisher regelmäßig Zuwendungsempfänger bei der Antragstellung und Abstimmung mit dem Zuwendungsgeber sowie bei der Dokumentation und dem Berichtswesen. Sie berät zudem zu zuwendungsrechtlichen Einzelfragen sowie zu begleitenden beihilferechtlichen und vergaberechtlichen Aspekten. Zu ihren Mandanten gehören Unternehmen in Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozessen, Ministerien und Behörden, Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
 
 

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