Virtuelle HV-Saison 2021: Gesetzgeber stärkt Rechte der Aktionäre | Fieldfisher
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Virtuelle HV-Saison 2021: Gesetzgeber stärkt Rechte der Aktionäre

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Germany

Executive Summary

  • Die in der HV-Saison 2020 geltenden Erleichterungen für die Abhaltung von virtuellen HVs sind verlängert worden und gelten auch für die HV-Saison 2021.
  • In virtuellen HVs, die nach dem 27. Februar 2021 stattfinden, besitzen die Aktionäre (wieder) ein Fragerecht und eingereichte Aktionärsfragen müssen in der HV grds. beantwortet werden.
  • Die Aktionäre dürfen Fragen künftig noch einen Tag statt wie bisher zwei Tage vor der HV einreichen.
  • Gehen bei der Gesellschaft spätestens 14 Tage vor der Versammlung formgerechte Gegenanträge und/oder Wahlvorschläge von Aktionären ein, gelten diese als in der Versammlung gestellt und sind sachgerecht vom Versammlungsleiter zu behandeln.

Im März 2020 brach die COVID-19-Pandemie über Deutschland herein. Präsenzhauptversammlungen wurden durch die Bestimmungen zur Einschränkung der Pandemie vielfach unmöglich. Der Gesetzgeber hat hierauf rasch reagiert und mit den Regelungen des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27. März 2020 („GesRuaCOVBekG“) virtuelle HVs erheblich erleichtert.

Die im Grunde begrüßenswerten Regelungen des GesRuaCOVBekG, die vielfach die fortbestehende Handlungsfähigkeit von Aktiengesellschaften während der Pandemie erst ermöglicht haben, gingen allerdings mit einem erheblichen Rückbau von Aktionärsrechten einher. Nachdem der Gesetzgeber aufgrund der andauernden Pandemie die Erleichterungen für virtuelle HVs für das Jahr 2021 verlängert hat, gewährt er den Aktionären nun wieder ein Fragerecht und lässt unter bestimmten Voraussetzungen Gegenanträge und Wahlvorschläge zu. Die neuen Regelungen sind bei HVs zu beachten, die nach dem 27. Februar 2021 durchgeführt werden.

 

Die Regelungen des GesRuaCOVBekG zur HV im Überblick

Mit dem GesRuaCOVBekG hat es der Gesetzgeber den Gesellschaften ermöglicht, auch dann virtuelle HVs abzuhalten, wenn sie – wie in der Praxis die Regel – keine entsprechenden Satzungsgestattungen besitzen. Zugleich hat der Gesetzgeber Mindestanforderungen an eine virtuelle HV definiert. Demnach ist den Aktionären die HV in Wort und Bild zu übertragen. Zudem können die Aktionäre Stimmrechte durch elektronische Briefwahl oder die Bevollmächtigung der Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft ausüben und Widerspruch zu Protokoll erheben. Fragerechte wurden bislang ausgeschlossen. An ihre Stelle trat eine bloße Fragemöglichkeit. Fragen konnte der Vorstand nach seinem pflichtgemäßen freien Ermessen beantworten. Die Fragemöglichkeit konnte insbesondere derart beschränkt werden, dass Fragen spätestens zwei Tage vor der HV einzureichen waren.

Die Frist für die Einberufung von HVs kann nach dem GesRuaCOVBekG verkürzt werden. Statt – wie regelmäßig nach dem Aktiengesetz – am 37. Tag ist die HV dann spätestens am 21. Tag vor der HV einzuberufen. Die Erleichterungen des GesRuaCOVBekG darf der Vorstand nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats nutzen.

Die Regelungen des GesRuaCOVBekG waren zunächst bis 31. Dezember 2020 befristet. Zwischenzeitlich hat das hierzu ermächtigte Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz die Regelungen per Verordnung vom 20. Oktober 2020 bis einschließlich 31. Dezember 2021 verlängert.
 

Änderungen des GesRuaCOVBekG durch Gesetz vom 22. Dezember 2020

Im Verlauf des Jahres 2020 wurde der Rückbau von Aktionärsrechten durch das GesRuaCOVBekG von Seiten der Aktionäre, darunter viele institutionelle Investoren, von Aktionärsschutzvereinigungen, aber auch im juristischen Schrifttum zunehmend kritisiert (siehe hierzu exemplarisch Hoppe, „Nothilfe, mit heißer Nadel gestrickt“, erschienen auf lto.de am 12. Juni 2020).

Der Gesetzgeber hat hierauf nun reagiert und durch Art. 11 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Patentrecht vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I 3328/2020) die Regelungen zur virtuellen HV in zwei wesentlichen Punkten geändert: Zum einen hat der Gesetzgeber ein Fragerecht im Vorfeld der virtuellen HV geschaffen und zum anderen hat er eine gesetzgeberische Fiktion geschaffen, wonach im Vorfeld der HV angekündigte Gegenanträge und Wahlvorschläge unter bestimmten Voraussetzungen als in der HV gestellt gelten.
 

Fragerecht der Aktionäre 

Durch die Änderung von § 1 Abs. 2 GesRuaCOVBekG wurde die bisherige Fragemöglichkeit in ein Fragerecht verwandelt. Flankierend hierzu hat der Gesetzgeber das Ermessen des Vorstands, die Fragen in der HV auch zu beantworten, in der Weise beschränkt, dass er dem Vorstand kein Ermessen mehr hinsichtlich des Ob der Beantwortung, sondern nur mehr hinsichtlich des Wie der Beantwortung einräumt.
Im Rahmen seiner Ermessensausübung kann der Vorstand vorgeben, dass die Fragen einen Tag – statt wie bisher zwei Tage – vor der HV bei der Gesellschaft einzureichen sind.
Durch diese Neuregelungen werden die Aktionärsrechte also im Vergleich zur Rechtslage 2020 deutlich gestärkt.
 

Fiktionslösung für Gegenanträge und abweichende Wahlvorschläge

Nach § 1 Abs. 2 Satz 3 GesRuaCOVBekG n.F. gelten nunmehr Anträge und Wahlvorschläge von Aktionären, die gemäß § 126 oder § 127 AktG bekannt zu machen sind, als in der Versammlung gestellt, wenn die betreffenden Aktionäre zur Versammlung ordnungsgemäß angemeldet und hierfür legitimiert sind. Hintergrund der Regelung ist die ganz herrschende Ansicht im Aktienrecht, wonach Anträge von Aktionären nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie in der HV selbst mündlich gestellt werden. Einige Gesellschaften, die ihren Aktionären in der virtuellen HV 2020 zulässigerweise kein Rederecht einräumten, sahen hierdurch zugleich Antragsrechte von Aktionären insgesamt als ausgeschlossen an. Zumindest in den von § 1 Abs. 2 Satz 3 GesRuaCOVBekG n.F. erfassten Fällen gilt das künftig nicht mehr.
 

Inkrafttreten

Die beschriebenen Neuregelungen treten laut der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 28. Februar 2021 in Kraft. Bei Änderungen des Aktiengesetzes betreffend Neuregelungen zur HV findet sich zumeist in den entsprechenden Übergangsvorschriften der Hinweis, dass die neuen Vorschriften auf HVs anzuwenden sind, die nach einem bestimmten Zeitpunkt einberufen werden. Dieser Zusatz fehlt hier. Aus diesem Grunde ist davon auszugehen, dass die Neuregelungen nur bei solchen HVs nicht zu beachten sind, die vor dem 28. Februar 2021 durchgeführt werden. Bei allen späteren HVs sind sie hingegen unabhängig von dem Zeitpunkt ihrer Einberufung zu beachten.
 

Offene Fragen und Ausblick

Die Neuregelungen zur virtuellen HV sind auffallend kurz. Auf den ersten Blick wirkt dies für den Rechtsanwender angenehm, wirft aber gerade in Bezug auf die Handhabung des neuen Fragerechts eine Reihe von Folgefragen auf, die dem Anwender die Umsetzung in die HV-Praxis erschwert.
 

Auswirkungen des neuen Fragerechts auf die HV-Praxis

Bereits zu der bisherigen Regelung des GesRuaCOVBekG, wonach der Vorstand vorgeben konnte, dass Fragen zwei Tage vor der HV einzureichen sein mussten, bestand Uneinigkeit wie diese Frist zu berechnen sein sollte. Teilweise wurde vom Beginn der HV zwei Tage zurückgerechnet und das Fristende auf die dem HV-Beginn entsprechende Uhrzeit am vorletzten Tag vor der HV festgelegt, teilweise wurde das Fristende auf den dritten Tag vor der HV um 24.00 Uhr bestimmt. Diese Frage wurde vom Gesetzgeber nicht beantwortet und gewinnt nun noch zusätzlich an Schärfe, da die Frist auf einen Tag verkürzt wurde.

In der Praxis ist häufig zu beobachten, dass Fragen von Aktionären entweder kurz nach der Einberufung oder kurz vor Ende der in der Einberufung genannten Frist bei der Gesellschaft eingereicht werden. Schon bisher bedeutete diese Praxis für die Gesellschaften und die beteiligten Rechtsanwälte und Abschlussprüfer je nach der Anzahl kurz vor dem Fristende eingereichter Fragen mitunter Akkordarbeit, um die Fragen zu beantworten. Dieses Problem wird künftig zum einen dadurch verstärkt, dass nunmehr wieder ein Fragerecht und nicht nur eine Fragemöglichkeit besteht, die Fragen grds. also sämtlich zu beantworten sind und das bisherige diesbezügliche Ermessen des Vorstands ausgeschlossen wurde. Laut den Erwägungen des Rechtsausschusses zu der Novelle steht dem Vorstand künftig nur mehr ein Ermessen dahingehend zu, dass er Fragen und deren Beantwortung zusammenfassen kann, wenn ihm dies sinnvoll erscheint.

Zum anderen wurde das zulässige Fristende von zwei Tagen auf einen Tag vor der HV verkürzt. Künftig wird das Problem, ob alle Fragen in der HV tatsächlich zu beantworten sind, insbesondere auch völlig abseitige oder solche, die sich aus der HV zugänglich zu machenden Unterlagen – etwa dem vorgelegten Jahresabschluss – beantworten lassen, damit umso dringlicher. Auflösen ließe sich das Problem vielfach, wenn man die § 131 Abs. 1 AktG immanente Beschränkung des Fragerechtes, wonach es sich um Angelegenheiten der Gesellschaft handeln und die Frage zur sachgerechten Beurteilung eines Punktes der Tagesordnung erforderlich sein muss, auch auf das neue Fragerecht gemäß GesRuaCOVBekG überträgt. Gleiches gilt für die Auskunftsverweigerungsrechte nach § 131 Abs. 3 AktG. Überlegenswert erscheint ferner, auf etwa vorhandene Satzungsregelungen zurückzugreifen, die es dem Versammlungsleiter gestatten, das Fragerecht zeitlich angemessen zu beschränken oder einen angemessenen Zeitrahmen für den Versammlungsverlauf festzusetzen (vgl. § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG). Darüber hinaus sollten die Grundsätze des sog. quantitativen Fragenexzesses auch auf das Fragerecht nach GesRuaCOVBekG anwendbar sein.

Allerdings wird die beschriebene Problematik dadurch nicht unerheblich entschärft, dass auch auf das neue Fragerecht § 1 Abs. 7 GesRuaCOVBekG anwendbar ist. Danach berechtigt die Verletzung des Fragerechts grundsätzlich nicht zur Anfechtung gleichwohl gefasster HV-Beschlüsse, es sei denn, der Gesellschaft kann vom Anfechtungskläger Vorsatz nachgewiesen werden.
 

Auswirkungen der Fiktion von Gegenanträgen und Wahlvorschlägen auf die HV-Praxis

Wie beschrieben, haben die Gesellschaften alle formgerechten und mindestens 14 Tage vor der Versammlung eingegangenen Gegenanträge und Wahlvorschläge, die von ordnungsgemäß zur HV angemeldeten und hierfür legitimierten Aktionären stammen, in der HV als gestellt zu behandeln. Das bedeutet freilich nicht, dass hierüber in der HV auch in jedem Falle abzustimmen wäre. Insoweit kommt dem Versammlungsleiter abseits von § 137 AktG ebenso wie in der Präsenz-HV bei sich gegenseitig ausschließenden Vorschlägen grundsätzlich das Ermessen zu, zuerst über die Vorschläge der Verwaltung abzustimmen, wenn diese voraussichtlich angenommen werden, der Aktionärsvorschlag hingegen nicht.

Nicht geklärt hat der Gesetzgeber die Frage, ob auch noch nach dem vorgenannten Zeitpunkt eingegangene Gegenanträge und Wahlvorschläge berücksichtigt werden müssen, und es den Aktionären sogar ermöglicht werden muss, Vorschläge noch in der HV zu unterbreiten. Die Neuregelung betrifft zudem nicht Verfahrensanträge, wie etwa einen Antrag auf Abwahl des Versammlungsleiters oder die Vertagung der HV (zum Ganzen Hoppe, HV-Magazin 2/2020, S. 18 f.).
 

Weiterführende Links 

GesRuaCOVBekG - Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (gesetze-im-internet.de)

1925322.pdf (bundestag.de)

DIP21 Extrakt (bundestag.de)

„Nothilfe, mit heißer Nadel gestrickt“, erschienen auf lto.de am 12. Juni 2020

HV-Magazin 2/2020, S. 18 f.
 

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