Die virtuelle Hauptversammlung (1) - Wie COVID-19 die Digitalisierung des Aktienrechts beschleunigt | Fieldfisher
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Insight

Die virtuelle Hauptversammlung (1) - Wie COVID-19 die Digitalisierung des Aktienrechts beschleunigt

01.04.2020

Locations

Germany

Mit den Regelungen zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie hat der Gesetzgeber insbesondere für Aktiengesellschaften die Durchführung der außerordentlichen und ordentlichen (Haupt-)Versammlungen im Jahr 2020 vereinfacht. 

Auch wenn diese Regelungen zunächst nur für das Jahr 2020 gelten, sind diese Anpassungen angesichts der derzeitigen Ereignisse in ihrem Umfang angemessen und eine Erleichterung für die Gesellschaften, insbesondere hinsichtlich der Kosten und des Planungsaufwands einer Hauptversammlung.

In der Theorie schafft der Gesetzgeber mit der hier vertieft behandelten virtuellen Hauptversammlung ein Instrument, das die betroffenen Gesellschaften in die Lage versetzt, trotz möglicher Beschränkungen aufgrund der Pandemie, erforderliche Beschlüsse zu fassen und handlungsfähig zu bleiben. Es müssen jedoch auch die Fragen erlaubt sein, wie die praktische Umsetzung aussieht, welche Risiken zu beachten sind und wo der Gesetzgeber verpasst hat, eine eindeutige Regelung zu schaffen. 
Das Gesetz sieht u. a. vor, dass ohne Satzungs- oder Geschäftsordnungsermächtigung

  • der Vorstand eine Online-Teilnahme an der Hauptversammlung ermöglichen kann,
  • eine präsenzlose Hauptversammlung mit eingeschränktem Anfechtungsmöglichkeiten durchgeführt werden kann,
  • eine Verkürzung der Einberufungsfrist auf 21 Tage ermöglicht wird,
  • der Vorstand ermächtigt wird, Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn bzw. die Ausgleichszahlung vorzunehmen, und
  • die Hauptversammlung innerhalb des Geschäftsjahres durchgeführt werden kann.

Bei den oben genannten Erleichterungen ist zu beachten, dass sämtliche Maßnahmen zwar vom Vorstand ohne Ermächtigung der Satzung bzw. Geschäftsordnung angeordnet werden können, aber diese Erleichterungen der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen. Allerdings ermöglicht das Gesetz dem Aufsichtsrat ohne physische Anwesenheit der Mitglieder schriftlich, fernmündlich oder in vergleichbarer Weise die Zustimmung zu beschließen.
Um auch nachhaltig die Rechtsicherheit für die Gesellschaft zu gewährleisten, sieht der Gesetzgeber nunmehr vor, dass die in den durch Erleichterungen betroffenen Hauptversammlungen gefassten Beschlüsse nicht aufgrund der Erleichterung angefochten werden können – ausgenommen sind aber vorsätzliche Verletzungen. Es soll neben der Grundsatzentscheidung zur Durchführung der Hauptversammlung ohne physische Präsenz und Verletzungen der eingeschränkten Auskunftspflicht auch die Verletzung von Formerfordernissen für Mitteilungen nach § 125 AktG keine Anfechtungsmöglichkeit begründen. 
So kann der Vorstand entweder die Stimmrechtsausübung im Wege der schriftlichen oder elektronischen Briefwahl anordnen oder eine Hauptversammlung ohne physische Präsenz abhalten. Sollte die Hauptversammlung ohne physische Präsenz abgehalten werden, hat die Gesellschaft auf Folgendes zu achten:

  • Die gesamte Versammlung, auch Generaldebatte und Abstimmungen, muss als Bild- und Tonübertragung erfolgen, wobei nicht vorausgesetzt wird, dass die Übertragung technisch ungestört abläuft und bei jedem Aktionär ankommt.
  • Den Aktionären ist die Möglichkeit einzuräumen, Fragen zu stellen:
  1. Die Möglichkeit der Fragestellung steht keinem Auskunftsrecht gleich und ein Recht auf Antwort ist darin auch nicht zu sehen. 
  2. Über die Beantwortung der Fragen kann der Vorstand nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen entscheiden. 
  3. Bei einer Vielzahl von Fragen kann die Verwaltung im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens Fragen zusammenfassen, sinnvolle Fragen auswählen sowie Aktionärsvereinigungen und institutionelle Investoren mit bedeutendem Stimmanteil bevorzugen.
  4. Der Vorstand kann auch entscheiden, dass die Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Hauptversammlung einzureichen sind, dass nur angemeldete Aktionäre eine Fragemöglichkeit haben oder eine offene Fragerunde anbieten.
  • Stimmrechtsausübungen sowie Vollmachtserteilungen sind elektronisch zu ermöglichen.
  • Antragsrechte bestehen nur bei elektronischer Teilnahme der Aktionäre.
  • Der Vorstand hat eine Möglichkeit zum elektronischen Widerspruch beim Notar vorzuhalten, der bis zum Ende der Versammlung und im Wege elektronischer Kommunikation zu erklären ist.

Die Gesetzesänderung ist insbesondere in Bezug auf die virtuelle Hauptversammlung sehr zu begrüßen. Bereits in den ersten Wochen der Pandemie wurden die Stimmen der Hauptversammlungsexperten in Deutschland lauter, ob eine krisengerechte Anpassung des § 118 AktG möglich sei. Dieser Problematik war man sich auch auf Bundesebene bewusst und macht von seiner Gesetzeskompetenz Gebrauch und gibt den Gesellschaften u.a. das Instrument der virtuellen Hauptversammlung für 2020 an die Hand. Nachdem das Gesetz am 27.03.2020 verkündet wurde, bleibt abzuwarten, wie die einzelnen Gesellschaften von der Möglichkeit Gebrauch machen werden, wobei sich hier bereits Bewegung im Markt abzeichnet – u. a. plant die Bayer AG nach entsprechender Pressemitteilung ihre Hauptversammlung am 28.04.2020 als reine Online-Hauptversammlung durchzuführen.
Auf praktischer Ebene gilt es für die Gesellschaften zu prüfen, wie ihre Satzungen und Geschäftsordnungen ausgestattet sind und ob sie von der Vorstandskompetenz ohne Satzungsermächtigungen Gebrauch machen müssen. Weiterhin ist auch mit dem jeweiligen Dienstleister für Hauptversammlungen ein Konzept abzustimmen, um einen reibungslosen Verlauf einer virtuellen Hauptversammlung garantieren zu können. Aber auch eine Abstimmung mit dem Notar ist unumgänglich, da u. a. im Rahmen des Gesetzesentwurfs empfohlen wurde, dass der Notar für die Durchführungen der Beurkundung am Aufenthaltsort des Versammlungsleiters zugegen ist.

Abschließend ist anzumerken, dass nicht nur aus Aktionärssicht die doch sehr starke Einschränkung des Auskunftsrechts des § 131 AktG eher problematisch erscheint. Nicht nur, dass es sich um essentielles Recht der Aktionärsbeteiligung handelt, auch aus europarechtlicher Sicht kann sich die Frage stellen, ob eine solche Einschränkung überhaupt rechtlich vertretbar ist. Ferner hätte vom Gesetzgeber angedacht werden müssen, dass die Erleichterungen sich nur auf Beschlüsse beziehen, die im Jahr 2020 aufgrund der COVID-19-Pandemie dringend zu fassen sind. Ein möglicher Missbrauch seitens der Gesellschaften hätte dadurch bereits präventiv eingedämmt werden können.


Bitte lesen Sie dazu auch "Bilanzsitzung des Aufsichtsrats in Zeiten von COVID-19".
 

Autor: Peter Lange

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