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Preisfindung zwischen Handel und Herstellern im Fokus der Kartellbehörden

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Germany

Preisfindung zwischen Handel und Herstellern im Fokus der Kartellbehörden

Seit über eineinhalb Jahren herrscht große Unsicherheit in der Kommunikation zwischen Einzelhändlern und Markenherstellern. Unklar ist, worüber im Rahmen der Jahresgespräche und unterjährig noch gesprochen werden darf, ohne dass schwerwiegende kartellrechtliche Konsequenzen drohen. Ausgelöst wurde diese Situation unter anderem durch zunehmende Aktivitäten des Bundeskartellamts im Konsumgüterbereich, die zu Bußgeldern in Millionenhöhe geführt haben. Im Januar 2010 führte das Bundeskartellamt außerdem umfangreiche Durchsuchungen in der Lebensmittelbranche wegen des Verdachts unzulässiger Preisabstimmungen zwischen Handel und Markenherstellern durch. Im September 2011 leiteten die Kartellwächter schließlich eine Sektoruntersuchung im Lebensmitteleinzelhandel ein, um nähere Informationen zu dort vermuteten Wettbewerbsproblemen zu sammeln. Diese Entwicklungen stellen die Beteiligten in einem ohnehin schon herausfordernden Marktumfeld vor zusätzliche Schwierigkeiten, die es zu bewältigen gilt.

Neugefasste Grundlage für die rechtliche Bewertung preisrelevanter Abstimmungen ist vor allem die am 1. Juni 2010 in Kraft getretene EU-Gruppenfreistellungsverordnung betreffend Wettbewerbsbeschränkungen im Vertikalverhältnis („Vertikal-GVO“), die durch erläuternde Leitlinien der Europäischen Kommission flankiert wird. Die Kommission beschäftigt sich darin mit Vereinbarungen oder auch bloßen informellen Abstimmungen zwischen Lieferanten und Abnehmern in Vertriebs- bzw. Zulieferverhältnissen sowie mit Abstimmungen zwischen Handel und Markenartiklern. Danach sind Beschränkungen eines Abnehmers, seine Wiederverkaufspreise selbst festzusetzen, grundsätzlich verboten. Nur in Ausnahmefällen kommt eine Freistellung vom Kartellverbot wegen vermuteter positiver Wirkungen auf den Wettbewerb in Betracht, zum Beispiel für unverbindliche Preisempfehlungen und die Festsetzung von Höchstverkaufspreisen, solange diese sich nicht tatsächlich wie Fest- oder Mindestverkaufspreise auswirken. Daneben erkennt die Kommission an, dass vertikale Preisbindungen bei sorgfältiger Prüfung im Einzelfall vom Kartellverbot freigestellt sein können, weil die wirtschaftlichen Vorteile der Wettbewerbsbeschränkung deren Nachteile ausgleichen. Dies hält die Kommission insbesondere bei Produkteinführungen und bei beratungsintensiven Produkten sowie bei kurzfristigen Sonderangeboten in Franchise- und ähnlichen Vertriebssystemen für möglich.

Vorläufige strenge Position des Bundeskartellamts

Im April 2010 hat das Bundeskartellamt in einem informellen Schreiben eine vorläufige kartellrechtliche Bewertung verschiedener Geschäftspraktiken im Handel vorgenommen, die für erhebliche Unsicherheiten im Markt geführt hat und schon jetzt preisbezogene Gespräche zwischen  (Markenartikel-)Herstellern und Händler von Konsumgütern belasten.

Das Bundeskartellamt ist vor allem der Ansicht, dass auch in Fällen, in denen es nicht zu einer Vereinbarung oder Abstimmung von Wiederverkaufspreisen gekommen ist, ein Kartellrechtsverstoß vorliegen kann, wenn versucht wird, die eigenen Vorstellungen zur Preisgestaltung durch Druckausübung oder Vorteilsgewährung einseitig durchzusetzen.

Es hält insbesondere folgende Verhaltensweisen für verboten:

  • schriftliche oder mündliche Vereinbarungen oder Abstimmung über Wiederverkaufspreise oder (Aktions-)Preisuntergrenzen und zwar auch indirekt durch Abmachungen über Margen oder maximal zu gewährende Preisnachlässe,
  • Unterstützung konkreter Aktionspreise durch produktbezogene Vergütung oder Rabatte seitens des Lieferanten,
  • Nachteilsandrohungen oder Vorteilsversprechungen zwecks Umsetzung von unverbindlichen Preisempfehlungen oder sonstigen empfohlenen Wiederverkaufspreisen/Preisuntergrenzen.

Als nicht ohne Weiteres verboten, aber kartellrechtlich risikoreich stuft das Bundeskartellamt zudem ein:

  • die Thematisierung von empfohlenen Wiederverkaufspreisen/Preisuntergrenzen über die Erläuterung der Gründe und Strategie anlässlich der erstmaligen Übergabe/Übersendung der Empfehlungen hinaus,
  • die Beteiligung/Mitwirkung von Handelsunternehmen an der systematischen Beobachtung/Überwachung von Wiederverkaufspreisen durch Lieferanten.

Ferner hält das Bundeskartellamt für unzulässig:

  • die Offenlegung von Konditionen/Verträgen eines Händlers durch den Lieferanten gegenüber konkurrierendem Händler,
  • die Übermittlung von preisbezogenen Informationen aus dem Geschäftsverhältnis mit einem Händler durch den Lieferanten an andere Händler,
  • Meistbegünstigungsklauseln und vergleichbare mündliche oder schriftliche Übereinkünfte.

Folgerungen für die Praxis

Auffallend an diesen strengen Vorgaben ist, dass das Bundeskartellamt dem sogenannten Effizienzeinwand, also dem Vorbringen, dass die wirtschaftlichen Vorteile der vertikalen Preisbindung deren wirtschaftliche Nachteile ausgleichen oder gar überwiegen, wenig Raum gibt. Demgegenüber sehen die – für das Bundeskartellamt nicht bindenden und von ihm weitgehend ignorierten – Leitlinien der Kommission  vor, dass eine verständige wirtschaftliche Abwägung dazu führen kann, dass gewisse Arten von Preisbindungen kartellrechtlich vertretbar sind.

Dass die Kommission hier einen flexibleren und marktnäheren Ansatz verfolgt, hilft den deutschen Unternehmen zunächst nur bedingt. In der Regel wird in Deutschland nämlich das Bundeskartellamt und nicht die Kommission tätig, wenn der Verdacht verbotener vertikaler Preisbindungen im Handel besteht. Insofern ist bei den vom Bundeskartellamt als unzulässig oder kritisch eingestuften Verhaltensweisen auch in anderen Bereichen der Konsumgüterindustrie Vorsicht geboten. Dies muss aber nicht zwingend zu dem Schluss führen, wie oftmals angenommen, jegliche Einflussnahme auf die Preisfindung einzustellen. Vielmehr sollten Handlungsspielräume sorgfältig geprüft werden. Auf diese Weise können in vielen Fällen Kartellrechtsrisiken vermieden und geschäftspolitisch notwendige Maßnahmen umgesetzt werden.