Die Gaspreisbremse – ein Bürokratiemonster mit drohender Klagewelle | Fieldfisher
Skip to main content
Insight

Die Gaspreisbremse – ein Bürokratiemonster mit drohender Klagewelle

Locations

Germany

Die Gaspreisbremse wird kommen – sie ist politisch gewollt. Wie sie genau aussehen wird, ist offen und soll kurzfristig entschieden werden. Aber was auch immer kommt – zu erwarten ist ein Bürokratiemonster mit vielen Rechtsunsicherheiten und noch mehr Rechtsstreitigkeiten. Und wer sich mit dem Verwaltungsaufwand herumschlagen soll, ist unklar.

 

 

Das Grundkonzept einer Gaspreisbremse

Aber der Reihe nach: Der Gaspreis soll gedeckelt werden. Das bedeutet:  Die Energieversorger berechnen für das Gas einen aktuellen Preis, der sich nach dem Vertrag ergibt, zum Beispiel 28 Cent pro Kilowattstunde (derzeitiger Durchschnittswert). Der Staat verspricht beispielsweise, den Preis auf 12 Cent zu deckeln. Das bedeutet: Der Verbraucher zahlt an den Energieversorger nur 12 Cent für die Kilowattstunde, der Staat die restlichen 16 Cent. Der Energieversorger bekommt am Ende also seine 28 Cent, nur eben von zwei Zahlenden. So weit, so einfach.

Ein genereller, unbeschränkter Preisdeckel diskutiert, der immer greift – unabhängig vom Verbrauch – wäre gefährlich und kaum politisch darstellbar. Das würde, so die Vermutung, den Verbrauch der knappen Ressource Gas nicht senken, sondern eher steigern. Daher soll nur ein Grundbedarf subventioniert werden – doch wie genau dieser Grundbedarf ermittelt wird, ist offen.

Ein Ansatz ist, dass unabhängig davon, ob der Verbrauch im Gegensatz zum Vorjahr steigt oder sinkt, 80% des Verbrauchs zu subventionieren (eine prozentuale Lösung). Das Problem hierbei: Dann würden auch erhebliche Verbrauchssteigerungen subventioniert – und vielleicht sogar der Anreiz gesetzt, erst recht mehr zu verbrauchen, da der Staat einen erheblichen Teil der Mehrkosten übernehmen würde. In Zeiten der Energieknappheit ein wenig plausibler Ansatz. Warum sollte jemand Gas sparen, wenn der Nachbar nebenan die Sauna heizt – mit Subvention aus den Steuern?

Dagegen werden eher Lösungen diskutiert, die entweder eine historische Betrachtung vornehmen oder eine Vergleichspauschale. Doch beide Lösungen tragen viele rechtliche Unschärfen in sich – und ihre praktische Umsetzung dürfte ein Horror werden.

 

Historische Lösung

Bei der historischen Lösung wird auf den Verbrauch des Vorjahres abgestellt und dann beispielsweise 80% des Grundbedarfs mit einem Preisdeckel subventioniert. Verbrauchte ein Haushalt damit in der Vergangenheit 20.000 Kilowattstunden pro Jahr, wären davon 16.000 Kilowattstunden auf 12 Cent gedeckelt. Der Rest müsste zum teureren Preis bezahlt werden. Vorteil dieser Lösung: Sie ist einfach verständlich, berücksichtigt auch Besonderheiten des jeweiligen Verbrauchs (Beispiel: schlecht isolierter Altbau hatte auch in der Vergangenheit höheren Verbrauch als neu isolierter Bau) und setzt Anreise zum Gassparen.

Energieversorger und ihre Juristen fürchten diese Lösung jedoch. Was auf dem ersten Blick einfach klingt, hat in der Praxis viele Probleme. Was gilt zum Beispiel, wenn es keinen Vorjahresverbrauch gibt – etwa, weil eine vierköpfige Familie 2022 von einer kleineren in eine größere Familie umgezogen ist? Was gilt für Familien, die 2022 Zuwachs erhielten und bei denen ein Ehegatte mit Baby nun ständig zu Hause ist – mit dann wohl steigendem Gasverbrauch? Wenn der Staat nach Art. 6 des Grundgesetzes Ehe und Familie schützt, will er solche Familien dann schlechter behandeln? Was gilt für Familien, die von einer Öl- auf eine Gasheizung in 2022 umgestiegen sind?

 

Vergleichspauschale

Daher wird auch eine Vergleichspauschale diskutiert. Hierbei wird eine Deckelung nach Pauschalen vorgenommen dergestalt, dass beispielsweise davon ausgegangen wird, dass bei einer vierköpfigen Familie von einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden Gas ausgegangen wird und dann wiederum 80% davon subventioniert werden. Auf einen historischen Verbrauch käme es dann nicht an.

Auch diese Lösung ist im Ausgangspunkt einfach, im Detail schwierig. Gerade Menschen mit weniger Einkommen wohnen oft in schlechter isolierten Gebäuden – mit der Folge, dass bei einer vierköpfigen Familie der Gasverbrauch mangels Isolierung viel höher ist. Gut situierte Mittelschichtler wohnen dagegen vielleicht im eigenen Neubau der Energieeffizienzklasse A – und verbrauchen viel weniger Gas, selbst wenn sie den berühmten eigenen Pool noch heizen, diesen dann sogar mit staatlicher Subventionierung. Kann eine solche Lösung mit dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Grundgesetz vereinbart werden, der nicht nur verbietet, wesentliches Gleiches ungleich, sondern auch wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln? Rechtsfragen, die sich abseits aller politischen Diskussion stellen werden.

 

Bürokratiemonster

Was jedoch gerade Energieversorgern und ziemlich vielen Juristen Kopfzerbrechen bereitet. Wer soll die Gaspreisbremse eigentlich wie umsetzen? Ihr Energieversorger weiß in der Regel nur Ihre Zählernummer, Wohnort und einen historischen Verbrauch (mit den oben genannten Folgeproblemen). Er weiß nicht, wie viele Menschen bei Ihnen im Haushalt wohnen, geschweige denn, was sich bei Ihnen in der Lebenssituation verändert hat oder welche Energieeffizienzklasse Ihr Gebäude hat. Wie soll er bei der historischen Lösung Fälle behandeln, bei denen kein historischer Verbrauch vorliegt? Wie soll er bei der Vergleichspauschallösung wissen, ob es sich um einen vierköpfigen Haushalt handelt? Es fehlen schlicht die Daten.

Es müssen damit wohl massiv Daten erhoben werden für die Umsetzung der Gaspreisbremse. Doch welche? Und durch wen? Sollen am Ende die Energieversorger in Deutschland den größten Volkszensus aller Zeiten durchführen, das Ganze natürlich noch in Übereinstimmung mit der Datenschutz-Grundverordnung und mit Prüfung sicherlich zahlreicher Beschwerden? Und wenn ja: Müssen sie die Richtigkeit der Angaben prüfen? Angenommen, sin Singlehaushalt möchte einen hohen subventionierten Grundbedarf erschleichen und gibt fälschlich an, mit drei Kindern im Haushalt zu leben – muss der Energieversorger die Angaben auf Plausibilität prüfen? Rechtlich bestünde die Gefahr, dass ansonsten zahllose Subventionsbetrüge in Deutschland auf einfachste Art und Weise möglich werden, denn um nichts Anderes würde es sich bei solchem Erschleichen staatlicher Leistungen handeln. Für die Energieversorger stellt sich dann die Frage, wie sie sich absichern, nicht Beteiligter solcher Fälle zu werden, etwa wenn die Angaben offensichtlich falsch sind im Vergleich zu einem historischen Verbrauch.

Für die Energieversorger droht damit ein Bürokratiemonster. Das Personal dafür wird fehlen. Die Kosten für die Prüfungen wird der Staat wohl nicht ersetzen – und wenn doch, dann wohl nur in ungenügenden Pauschalen. Oder aber eine staatliche Behörde springt ein – nur welche und mit welchem Personal? Da noch heute Unternehmen auf Auszahlungen von Überbrückungshilfen aus der Corona—Krise warten, erst recht auf Zahlungen nach dem Energiekostendämpfungsprogramm, kann nur das Schlimmste befürchtet werden. Der Staat ist für diese Fragen weder personell noch verwaltungstechnisch aufgestellt.

 

Klagewelle

Und am Ende wird eine Klagewelle drohen. Denn Menschen werden Klagen erheben, wenn sie der Ansicht sind, ihr Grundbedarf sei zu niedrig berechnet oder bei ihnen liege ein Sonderfall vor. Findige Legal-Tech-Anbieter werden niedrigschwellige Angebote setzen, um die überforderten Energieversorger und den Staat unter Druck zu setzen. Die Gaspreisbremse könnte die Gerichte jahrelang beschäftigen.

Und die hier aufgeführten Beispiele betreffen nur Privathaushalte: Was auf Unternehmensseite passiert, ist noch gar nicht absehbar. Nach dem EU-Beihilferecht ist wohl eine Genehmigung der Gaspreisbremse auch für Unternehmen notwendig. Kaum vorstellbar, dass die EU für alle Unternehmen dabei die gleichen großzügigen Maßstäbe ansetzen wird. Es ist eher ein kompliziertes Regelwerk zu befürchten, ähnlich wie bei den Corona-Überbrückungshilfen, die den bei den Anträgen unterstützenden Beraterinnen und Beratern viele schlaflose Nächte gekostet haben. Bis die Auszahlungen (oder der Deckel) dann kommen, kann es noch Monate dauern.

 

Ungleichbehandlung mit anderer Energieversorgung?

Verfassungsrechtlich stellt sich zudem die Frage, warum nur Gas subventioniert wird. Auch das Heizen mit Ölheizungen und Wärmepumpen hat sich stark verteuert. Es wird sich die Frage nach einer relevanten Ungleichbehandlung stellen. Zwar gelten im Fördermittelrecht großzügige Maßstäbe des staatlichen Handelns, doch gibt es eine Willkürgrenze. Kaum vorstellbar, dass Verbraucher mit Ölheizungen die Gaspreisbremse ohne entsprechende eigene Subventionierung klaglos hinnehmen wollen.
 
Für die Gaspreisbremse gibt es gute politische und soziale Gründe. Doch ihre Umsetzung wird zu wenig diskutiert. Die Folgen sind derzeit unüberschaubar, die Rechtsprobleme auch. Vor allem stellt sich die Frage, wer sie lösen soll – die Verbraucher, die Energieversorger oder der Staat? Diese Fragen müssen jetzt auch gestellt werden.

 

Über den Autoren

Dennis Hillemann ist Partner der Kanzlei Fieldfisher und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er berät Unternehmen in der Energiekrise.